Sonntag, 4. Dezember 2011

Wewe ndiye mchizi wangu!

Die Gefahr ist groß, wenn man andere am Verfassten teilhaben lässt, dass man nicht mehr für sich selber schreibt und sich verliert. Es geht dann nicht mehr um das Ganze, sondern nach einer Abwägung wird gefiltert und es bleibt, was interessiert, was bindet - Ich erinnere mich noch genau wie ich vor fast genau zwei Jahren den Supermarkt durchstöbert habe nach diesem Buch mit leeren Seiten, um Gedanken- und Seelenwelt ein wenig zu fassen. Heute, zwei Jahre später habe ich den Mut der Öffentlichkeit ein paar dieser Seiten Preis zu geben (...). Wieder stelle ich fest, dass all die gewählten Worte doch scheitern werden und nur in einen Rahmen setzen, was unmöglich eingerahmt werden kann.
Ich erinnere mich, wie ich als kleiner Junge, versunken in einer Couch durch das Fernsehprogramm zappe und kurz Halt mache, wenn ein Löwe in Zeitlupe eine Gazelle reißt, nachdem er sich leise durch das hohe Gras geschlichen hat. Schrimakazie und von der Sonne rot gefärbte Kulisse untermalen das wilde Naturphänomen. Ich zappe weiter zum Kinderkanal mit letzten Gedanken an den mutigen Kameramann, der sich so nah an die wilden Tiere, so weit in die Wildnis, getraut hat. Kein Gedanke daran, dass ich irgendwann diese Zeilen schreibe. In der Pubertät wird die Welt hinterfragt und sie wird größer und weiter. Fürchterfüllt lasse ich die Sehnsucht nach der Ferne in mir wachsen. Mit geringem Selbstvertrauen strecke ich das erste Mal den Daumen am Straßenrand raus und entfliehe der Schule nach Hause. Schon bald erreiche ich mit Freund Stockholm im fremdem Auto mit unbekanntem Fahrer und fahre mit Rucksack und Fahrrad drei Tage in die Eifel.
Nun sitze ich in tropischer Nacht, schlage Moskitos zur Seite und schreibe über gestillte Sehnsucht. Worte im Alter von 16 Jahren, wo es um die Entdeckung der großen Welt ging, sind nicht leer geblieben. Im Land Rover fahre ich heute auf gefühlter sechsspuriger, afrikanischer Straße ohne Verkehrssystem in die Stadt, um der afrikanischen Welt ein wenig europäische Abwechslung einzufügen und mir eine Pizza zu gönnen. Vom Herzen genieße ich sie, kurz entfernt vom Genuss der Liebe der Kinder. Der große Weiße, der mit Container angerollt kam und den man anfangs mit Abstand beobachtet hat, trägt sie jetzt Huckepack durch die Steppe, lacht gemeinsam über ihre Alltagsgeschichten, messt sich im Spaßkämpfchen und verliert den Stockkampf. Wenn Elia, Eliezer oder Pendo sich einen Platz auf meinem Schoß ergattert haben, mich ihrem "mchizi wangu" (ihren Verrückten) nennen, ich mir über ihr bisheriges Leben bewusst werde, bin ich vom Herzen dankbar, dass ich hier bin und tun darf, was ich tue. Mit rechtem Arm drücke ich Pascal näher an meine Schulter und lasse ihn kurz spüren, dass ich gerne hier bin und dass ich ihn lieb habe.

Nächste Woche verbringe ich eine Woche im Massailand und schlafe unter schönstem Sternenhimmel. Ein Kidscamp wird bei ihnen durchgeführt und ich kann es kaum erwarten. Anschließend geht es in die überteuerte Serengeti und ich bin der Kameramann, vor dem ich als Kind so großen Respekt hatte. Kalkuliertes, aber doch riskantes Abenteuerfeeling erwartet mich und ich freue mich unter Lagerfeuerschein in völliger Ruhe, unterbrochen vom Geschrei der wilden Tiere, Kiswahililieder auf der Mundharmonika zu verfehlen.
Hier, Jahre später, wird die Welt immer kleiner und kleiner und mein Blick reicht weiter und weiter.

Die letzten Gedanken, die mich zu diesen letzten Zeilen bewegen, gelten meinen Freunden und meiner Familie, denen ich kurz über Skype vor zwei Tagen beim Genuss des Belanglosem zuschauen, zuhören durfte. Von einigen von ihnen, war das das erste Lebenszeichen seit drei Monaten. Ich wurde kurz in die Heimat versetzt und mit Freude erfüllt. Erstaunt frage ich mich, wie Liebe Zeit überdauert und Distanzen nicht kennt. Wer bin ich, was tue ich, dass ich so viel unverdiente Liebe zugesprochen bekomme? Der Verstand ist völlig überstiegen und Herz versucht dankbar zu verarbeiten. Liebe macht keinen Sinn! Mit Liebe auf Enttäuschung zu antworten, ist nicht logisch. Zu vergeben, wenn dein Gegenüber dir den Rücken zukehrt, ist nicht logisch. Ans Kreuz zu gehen und zu sterben für Menschen, die dir die Nägel in die Hände schlagen, ist nicht logisch -
doch wer weiß, vielleicht rettest du ja die Welt.

Die Hunde heulen verrückt in die Nacht und heute ist der zweite Advent. Es fängt bald an zu schneien und Weihnachtsbeleuchtung schmückt die tote Welt. Morgen wird die Sonne mit etwa 30 °C auf meinen Kopf knallen.

...die Mücke, die mich beim Schreiben durch ein nervendes Sausen gereizt hat, ist jetzt tot - eine Mücke nervt mich beim kurzem Überlesen des Geschriebenen - unglaublich, dass so kleine Viecher dich für einige Wochen ausknocken können - Danke, dass ich bis jetzt auf den Beinen stand!

Montag, 28. November 2011

Alltag und Feuer

Es ist nicht leicht sich auf Morgen zu freuen, denn die letzten Morgen bin ich mit solch einer unerklärlichen Unruhe in den Tag gefallen. Doch wehe mir, wenn ich anderen den Segen durch mich verwehre, wenn ich keine Freude in mir trage. Die Tage sind schwer voneinander zu unterscheiden. Sie beginnen früh mit Haushaltsaufgaben, einer Andacht, Chai ya Maziwa, die genussvollste Mahlzeit des Tages. Reis mit Bohnen, Reis mit Fisch, Ugali mit Dagha (Fisch), Makonde sind die spärliche Konkurrenz. Heute ist Sonntag, heute gab es Fleisch. Zwei kleine Stückchen durfte ich wertschätzen mit dem Hintergedanken, dass hoffentlich auch jeder etwas abbekommt. Langsam ist der Friedensvertrag mit Ugali durchgesetzt und ich konnte bei den letzten beiden Malen, fast von einer guten Kost sprechen. An das neue traditionelle Besteck „Finger“ findet man richtig gefallen und hat sogar dazu geführt, dass ich alt eingesessene Tradition geändert habe und mir den Hintern nun mit der linken Hand abwische und die rechte für das Essen heilig gehalten wird.

Der Englischunterricht geht nur schleppend voran, weil die Kids nicht lernen und nicht die richtige Motivation haben. Eine Woche bis zum Aufnahmeexam. Ich bin gespannt, wer sich bewährt. Mit Gebet hoffe ich auf Gnade und Wunder!

Meine freie Zeit nutze ich um zu lesen, werde aber von der ständigen Müdigkeit immer wieder zum Schlafen verführt. Immer wieder reiße ich aus und suche einsame Stunden. Die ersten Berge der Umgebung sind schon bestiegen. Beim letzten Aufstieg habe ich sechs der Kinder mitgenommen und wir wurden durch ein kleines Abenteuer geführt. Aufgrund der spontanen Abreise ging es erst gegen 4 p.m. Richtung Berg. Unterwegs stellen wir fest, dass er weiter entfernt ist, als es aus der Ferne erscheint und dass eine Flasche Wasser pro Mann zu wenig ist. Nach einer Stunde suchen wir Zuflucht im Schatten eines kleinen Baumes. In der nächsten Stunde erreichen wir den Berg. Völlig trocken und menschenleer ist diese Gegend. Die Anstrengung beim Aufstieg und der Mangel an Wasser haben uns nicht den höchsten Punkt erreichen lassen. Auf einem Felsen finden wir Zeit zum Durchatmen und für ein paar Beweisfoto, als wir im Tal ein scheinbar harmloses Feuer erkennen. Mit Geschwindigkeit frisst es das Stroh um sich herum und nimmt Strauch und Baum gefangen. Der geplante Rückweg wird uns vom Feuer versperrt und in der steileren Schräge des Berges eilt uns das Feuer entgegen. Wir sind zu weiteren Aufstieg gezwungen, um auf der anderen Seite dem Feuer zu entfliehen. In Eile rutschen wir den steilen Hang hinunter und stoßen auf einen kleinen Pfad. Wir folgen dem Pfad und schaffen es rechtzeitig zwischen zwei Feuerfronten hindurch zu marschieren. Dankbar erkenne ich Gebetserhörung. Die Dunkelheit setzt langsam ein und wird schnell zu Finsternis. Mit einer schwachen Leuchte suchen wir uns einen Rückweg und wandern unter schönem Sternenhimmel. Wasser haben wir uns vorher aus einer kleinen Hütte besorgt. Glücklich über die überstandenen Gefahren werfe ich einen letzten Blick auf den in Flammen stehenden, kilometerweit entfernten Berg und trete völlig erschöpft ins Haus ein und finde festen Schlaf.
Drei Monate sind jetzt vergangen und Weltwärts hat den ersten Erfahrungsbericht von mir eingefordert und mich um eine Reflektion meiner Gefühlswelt gebeten und mich über Entwicklungspolitik nachdenken lassen. Ich esse Ugali mit ihnen, fege ein wenig durch die Gegend, bringe ihnen Englisch bei, klopfe ein wenig mit Hammer und Nagel, spiele Fußball mit ihnen und erfreue mich am gemeinsamen Musizieren. Abends sitze ich mit ihnen auf einer Bank, angelehnt an die von der Sonne gewärmten Hauswand und rede und lache mit ihnen, bis die Sonne nach buntem Schauspiel die Sterne auf die Bühne lässt. Was von alledem als wirklich entwicklungspolitisch fördernd eingestuft werden kann, kann ich nur schwer beurteilen, doch was Entwicklungspolitik definitiv in den Schatten stellt ist bedingungslose Liebe. Ihr Lachen zu teilen, ihnen Freund sein und ihnen zuhören, wenn sie sich vertrauensvoll öffnen, sind die Dinge, die sie nicht vergessen und die Kinder, die von ihren Eltern in der Bananenplantage ausgesetzt wurden oder ihre Eltern an Aids verloren haben und den selben Lebensausgang erwarten, wirklich brauchen. Wer sich in ein Waisendorf begibt, um eine bessere Welt zu bringen, wird feststellen, dass sie diese gar nicht brauchen. Vielmehr brauchen sie Menschen, die ihre gebrochene Welt versuchen zu verstehen und sie mit Liebe in den Arm nehmen.
"And there will come a time, you'll see, with no more tears and love will not break your heart, but dismiss your fears. Get over your hill and see what you'll find there, with grace in your heart and flowers in your hair" sind die Worte von Mumford and Sons, die mir die richtige Stimmung für die letzten Zeilen geben.

Mittwoch, 9. November 2011

Afrikanische Welt - Morogoro

Und schon wieder sitze ich im Flieger und gehe. Etwas mehr als einen Monat habe ich in Kemondo verbracht und habe die Kids lieben gelernt. So schwer mir der Abschied auch fiel, die Kinder haben es nicht ganz verstanden. Den Hausmamas fiel es mir schwer zu sagen, was ich wirklich fühle und die Kids, die mir wirklich ans Herz gewachsen sind und die mich mit zum Hafen begleitet haben, sind den Abschied gewohnt und haben sich mehr für die Mannschaft der tansanischen Premierleague interessiert, die sich mit an Bord der Fähre befand, als einem Mzungu winkend in die wirklich afrikanische Welt zu verabschieden.

Es ist belastend, dass jeder Ort dich irgendwann mit Erwartungen überläuft – selbstgestellt oder von außen. Wenn ich alleine auf einer Insel fest sitzen würde, würde irgendwann die Pflicht drücken sich Nahrung zu verschaffen. Und immer ist da dieser Drang alles richtig zu machen. Ich wünsche mir so sehr göttliche Ruhe in mir zu tragen und völlig sorgenfrei, nicht sorglos, fürsorglich den Tag zu leben. Die Tatsache, dass ich immer mehr tun kann, als ich tue, plagt -  die Welt retten kann ich jedoch auch nicht. Lass Frieden herrschen zwischen Tatendrang und Gelassenheit.

Die Afrikaner scheinen ganz der Gelassenheit verfallen zu sein, was zum großen Teil daran liegt, dass der afrikanische Lebensstil viel Geduld erfordert. Überall und auf alles wird gewartet und alles passiert später als geplant, wenn überhaupt geplant. Übermäßige Arbeit wird jedoch stumm ertragen, statt den Erfindergeist zu aktivieren und sich Erleichterung zu verschaffen. Etwa 20 Männer habe ich gezählt, die mit der Fikeo, dem afrikanischen Handrasenmäher, den Rasen am Flughafen bearbeiten. In Deutschland hätte eine Person auf einer Maschine gereicht. Ich frage mich wie viele Jahre Afrika noch braucht bis es nicht mehr gebeugt durchs Leben läuft, mit dem Leben auf dem Kopf…

Morogoro erwartet mich und das echte afrikanische Leben ohne Strom und Fließendwasser steht vor der Tür. 28 Kinder kennen bereits meinen Namen und ich reise mit einer einzigen Sprache im Handgepäck – Kiswahili als einzige Verständigungsmöglichkeit. Wer hätte gedacht, dass man bei der Begegnung mit einer Truppe von höchstens 15 Jährigen so aufgeregt sein kann.

Im Schlafbereich des Seitenladers nähere ich mich meiner neuen Heimat. In bereits eingetroffener Dunkelheit rollen wir auf das Gelände und bereiten das Abladen des mitgebrachten Containers vor. Die Kids sind auf dem Geländer verstreut und halten Ausschau nach dem Weißen, der sie für die nächsten neun Monate beim Leben begleitet. Ich mache meine ersten Fußtritte auf den sandigen, trockenen Boden und weiß noch gar nicht wo ich stehe und kann noch nichts einordnen. Die ersten Jungs frage ich nach ihre Namen und vergesse sie sogleich. Die kleine Pendo kann ich mir jedoch gleich einprägen. Pendo wie die Liebe – welch schöner Name. Nach dem ersten, kurzen Gespräch mit Tina finde ich heraus, dass Pendo die Jüngste im Center ist und ihren Namen von einer Krankenschwester erhalten hat. Ihre Mutter hat sie im Krankenhaus abgegeben und auf die Namenskarte „Nicht gebraucht“ geschrieben. Die Krankenschwester hat diese Worte mit „Liebe“ ersetzt. Bei der ersten Ibada (Andacht) am selben Abend habe ich alle 28 Kinder samt Dadas und Bibi Esther und Mama Eli im Solarlicht vor mir sitzen. Auf Kiswahili haue ich eine vollständige Introduction raus mit dem Bewusstsein, dass mir hier nur diese Sprache weiterhilft.

Kaka Zakaria ist der einzige potentielle, männliche Freund ansonsten habe ich hier einige Dadas denen ich unverständig zuhöre. Kiswahili erlaubt mir noch nicht zu sagen, was ich fühle, meine Gedanken bleiben Gedanken und jeder Witz verstummt in mir. Die Kids sind geduldig mit mir und freuen sich mich um sie zu haben. Ihr Gelächter lässt mich meine grammatischen Fehler erkennen. Ich bin müde. Seit ich am Freitag  hier angekommen bin, habe ich mit Müdigkeit zu kämpfen. Hitze, die den ganzen Tag überdauert und totale Konzentration, während ich Swahili Konversation verfolge und doch nicht verstehe, sind mögliche Gründe. Jeder Satz, den ich beitragen will, muss vorher gut durchdacht sein. Bloß nicht anfangen zu sprechen, wenn du weißt, dass dir gleich eine Vokabel fehlt. Es fühlt sich wie ewiges Tabuspielen an und ist anstrengend, doch schon bald bin ich in der Lage mit ganz Ostafrika die Welt zu diskutieren.

Groß ist die Gefahr hier in Einsamkeit zu versinken und ich bin gespannt was sich in neun Monaten in mir entwickelt und was sich verändert. Liebe zu den Kindern wächst mit jedem Lachen, dass sie mir zu werfen und Motivation für diesen eingezäunten Ort steigt. Ich hoffe doch noch sehr auf wenigstens einen Seelenverwandten.

Unter Robby Hales Gesang mit Alltagslyrik schaukel ich in den Sonnenuntergang hinein mit Blick auf die gewaltigen Berge vor mir, die sich hinter der Stadt aus dem flachen Land erheben. Einen weiten Schatten wirft die Schaukel auf den staubigen, harten, trockenen Boden. Windstöße wirbeln den Dreck in die Luft und lassen mich meine Augen zusammenkneifen.  Die Bananenstauden neben an verdursten und leiden unter Trockenheit in der eigentlichen Regenzeit. Für einen kurzen Moment schaffe ich es die Ruhe, die Ferne, das Alleinsein, Afrika wirklich zu genießen. Das Schaukeln bringt mich auf nostalgische Gedanken. Ich denke an enge Freunde, meine Familie, gute Musik, Kim, Nutella, gutes deutsches Bier, deutsche Natur und genieße afrikanisches Leben.

Am ersten Tag bekomme ich die wöchentliche Jungengruppe übergeben, ich halte Andachten und bin seit heute Englischlehrer. Einen Monat haben wir Zeit ihnen Stoff von zwei Jahren beizubringen, damit sie die Aufnahmeprüfung in der neuen Schule schaffen. Ich bin der erste FSJ’ler an diesem Ort und darf Geschichte schreiben. Ich fühle mich gebraucht und das ist gut.

Jeder Tag beginnt mit Brot mit Blue Band (Butter) und Tee mit Milch. Sonntags gibt es ein Ei. Jeden Tag esse ich Reis mit Bohnen, gefolgt von Ugali ohne Salz. Abends dusche ich mit Eimer und kacke im Stehen. Haha!

Es geht mehr in mir vor, als ich hier preisgebe, vergebt, dass ich es nicht auf diese Weise mache -  zu viele potentielle, nicht vertraute Leser.


Mittwoch, 19. Oktober 2011

Mungu wetu ni waajabu!


Die Tatsache, dass die auf Papier gefassten Worte nicht alles fassen können und den wirklichen Eindrücken nicht gerecht werden, machen mir das Schreiben schwer. Ich versuche Erlebtes anzubrechen und Raum für eigene Eindrücke zu lassen. 
Nachdem wir den Wazungupreis beim Einchecken für jedes übergewichtige Gepäckstück bezahlt haben, der Flug verflogen zu sein scheint, wir einen Tag lang Mwanza durchschlendert haben, einen wunderschönen Sonnenuntergang am Hafen verfolgt haben, genießen wir die verblassende Küste und befinden uns auf Überfahrt nach Kemondo, meiner einmonatigen Heimat.
Nachts um vier erreichen wir den Hafen und werden von Debbie empfangen. Ein durchlöcherter Weg führt von der Hauptstraße zum Kinderdorf, vorbei an Bananenplantagen, eingetaucht in eine grün blühende Hügellandschaft mit Blick auf den sterbenden Viktoriasee. So eine gewaltige Masse Wasser lädt zum Baden ein und hält das Messer Bilharziose hinterm Rücken versteckt. Seeadler überfliegen die Landschaft und man fühlt sich stets von Schlange, Krokodil und Nilpferd umgeben und in Gott geborgen.
Das Fischerdorf, das ich beim Erkunden der Umgebung passiere, scheint eine Welt für sich zu sein. Alkoholisierte Väter trinken das Geld vom verkauften Fisch in einer Bar in der Stadt weg und die Frauen schlagen sich mit den Kindern in den aus Stroh und Lehm gebauten Hütten durchs Leben. Das potentielle Schulgeld der Kinder ist in den Händen des Barkeepers und die Kinder sind zukünftige Fischer mit Alkoholproblemen – traurige Welt.
Bei dem ersten Rundgang durch das Kinderdorf, fallen einem eine Truppe von Kids in tansanischfarbener Schuluniform um die Beine. Ehemalige Straßenkids, von denen einige in der Shamba oder in einer Bananenplantage gefunden wurden. Kids, die ihre Eltern an Aids verloren haben und denselben Lebensausgang erwarten. Kids, mit ganz neuen Lebenschancen, weil Menschen sich bereit erklärt haben ihr Leben dem Dienst hinzugeben. Etwa 15 Kinder teilen sich eines der acht Häuser und bekommen Nahrung und Liebe von Hausmama und Dada und ich ringe mit 113 Namen und haue stets die auswendig gelernten Begrüßungsfloskeln raus. Während ich Unkraut in der Shamba bekämpfe, einem Affen beim Bananenklauen zuschaue, von Ugali besiegt werde und mich beim Basket- und Fußballspielen auslaste, kommen immer wieder neue Vokabeln hinzu. Einige der älteren Jungs werden zu Vertrauten und ich genieße ihren besonderen Humor. Ich beobachte die Kinder, wie sie mit Freude um sich werfen, als gäbe es kein Aids, als hätten sie Eltern und als wüssten sie wie alt sie wirklich sind. Voller Scham stelle ich fest wie leichtsinnig es von mir wäre, das Gebetsanliegen meines kranken Opas bei einer Jugendstunde zu erwähnen, während ein Haufen kranker Kinder tatsächlich dafür gebetet hätten.
Es ist komisch nichts von der Heimat mitzubekommen und über eine simple Sms zu erfahren, dass der Opa im Sterben liegt. Die Nachrichten aus der Heimat werden von Tag zu Tag immer seltener und man ist nur noch hier.

Mit bepacktem Rücken durchbreche ich Busch, überquere Fluss, der durch Keimtablette trinkbar gemacht wird und mache Halt an Orten mit schönem Ausblick. Weit oben auf dem Berg, von wo aus man weites, wildes, menschenleeres Land überblickt, komme ich zur Ruhe. Am Lagerfeuer unter Mondschein schlägt mein Herz schneller und Worte der Ermutigung verlassen meinen Mund und durchdringen, wenn mit Geist, Verstand und Herzen der elf Jungs, die gemeinsam den dreitägigen Hijk bestreiten. Gewitter über der Plane reißt dich aus dem Schlaf, lässt dich kurz die Entfernung schätzen und ein möglicher Einschlag wird ausgeschlossen. Anschließender Sternenhimmel wird nach kurzem Vergleich als unvergleichlich prächtig eingestuft. Sonnenaufgang am Ende des weiten Tales vor dir am Horizont des Viktoriasees lässt dich kurz zweifeln, ob du das gerade wirklich siehst. Keine lärmenden LKWs auf nahegelegenen Autobahnen, keine Straßenlaternen, keine Straßen – der Klang der Natur spielt einen wunderschönen Solopart. Knurrend legt sich mein Herz zur Ruhe, wenn Abenteuer gekonnt am Nacken krault. Der Gedanke einen Schritt in die Wildnis zu wagen ist begleitet von lauter Befürchtungen vor möglichen Gefahren, doch wer bereits zwei Schritte gegangen ist, stellt fest, alles ist halb so wild.  
Zu sehen, wie Menschen in diese wilde Welt eingebettet sind und überleben, regt zum Nachdenken an. „What do you think of this boring african life?“ fragt mich der etwa 14 jährige Anderson, der sich nach dem Schritt hinter die Grenzen sehnt. Verwundert versuche ich ihm zu erklären, wie sehr er all das schätzen wird, wenn er den Sprung in die von Geld besessene Welt gemeistert hat. Menschen führen Kriege zur Friedenssicherung und der Gewinner kriegt Öl, Wasser und andere Ressourcen. Es wird gekämpft um anschließend in Macht und Ehre zu baden. Verachtung folgt, wenn dein Mitstreiter höheres Ansehen genießt. Für die gleiche Sache streitend, überkommt den Einen die Eifersucht, weil der Andere das Wort führt. Dieser hält sich stolz für etwas Besseres. Männer besteigen lachend Machtberge über Fehltritte ihrer Brüder. Geld beruhigt das Gewissen, wenn man eine Leiche höher gestiegen ist. Im Gottesdienst steigt innere Ärgernis, weil dein Sitznachbar die zehn Euro, die du liebevoll vorgestreckt hast, scheinbar aus seinen Gedanken radiert hat. Äußere Welt drückt die Seele in immer enger werdende vier Wände - eingeschlossen in Depression, Verzweiflung, Angst vor Versagen und Enttäuschung. Welt ringt mit dem Alltag, Mensch kämpft mit dem Leben.

Kinder passieren an meinem Zimmerfenster vorbei und schlagen mit einem Stock, in leeren Gedanken versunken durch das Gras. Dem Vater gab ihre Geburt Anlass die weite Welt zu suchen, die Mutter verliert den Kampf gegen Aids bevor sie das Wort „Mama“ das erste Mal in den Mund genommen haben. Der kleine Moses streckt mir seine Arme entgegen, um in den Arm genommen zu werden. Das er von seinen Eltern in einer Bananenplantage ausgesetzt wurde, ist ihm noch nicht bewusst. 113 Kinder strecken die Hand in die Höhe als eine der Hausmamas im Gottesdienst fragt, wer bereits einen Todesfall in seiner Familie erlebt hat. Ich sitze in meinem Zimmer, betrachte das Foto der etwa 70 Leute, die ich als Familie bezeichnen darf und kann mich von einigen als wirklich geliebt schätzen. Ältere Kids stolpern über Fragen – „Warum? Wer bin ich? Wer liebt mich?“ Introvertiert und schüchtern suchen sie deine Nähe, und hoffen auf bedingungslose Liebe, die vom Herzen kommt.
Spaß beim Unospielen löst kraftvolles Lachen bei ihnen aus und tiefe, innere Freude ist ihrem Gesang zu vernehmen, wenn sie im Gottesdienst „Mungu wetu ni waajabu“ singen. Mein Herz weint, wenn ich ihnen zuhöre und fragend schlafe ich ein, wie sie so standhaft in diesem Leben sein können.
Ehrliche Liebe empfinde ich für sie. Liebe als Motivation zum Geben ohne Erwartung. Liebe als Motor eine zerbrochene Welt in die Gänge zu bringen. Liebe als Waffe im Kampf gegen Einsamkeit und Sinnlosigkeit. Menschen kämpfen für Ruhm, Macht und Ansehen und sterben alleine. Andere sterben im Kampf um die Liebe und retten die sterbende Welt. Einer der wenigen Kämpfe, der sich lohnt Größer ist die Trauer, wenn Bruder neben Bruder in Hass lebt, als wenn Fünfjährige sich nach nie gekannten, verstorbenen Brüdern sehnen, aber verstehen zu lieben. Mama trägt gebrochenes Herz in sich, weil Papa Liebe vergessen hat. Fast ausnahmslos haben die Kinder hier nie den Herzschlag ihrer Mutter verspürt.  
Es ist nicht leicht zu ordnen, was die Seele fühlt, doch die Beziehung zu Gott kristallisiert sich wieder mal als essentiell heraus und in Ihm finde ich Kraft, Frieden, Ruhe und Liebe.  
Ich genieße das Leben hier, freue mich aber sehr Freunde und Familie bald wieder in die Arme zu schließen. Ich denke an euch und liebe euch! Vergebt die Unordnung in diesem Eintrag. 

Freitag, 16. September 2011

Hakuna Matata!


Wir sind jetzt schon mehr als eine Woche auf noch unerforschtem Land. Es ist immer noch schwer wahrzunehmen, dass die Sonne im Norden ihren höchsten Punkt erreicht, täglich einen weiten Bogen vertikal über unsere Köpfe zieht, der Mond in der Nacht auf dem Rücken liegt und ich hier den großen Wagen vergeblich im Sternenhimmel suche. Das Gewässer, dass ich in der Ferne beobachte ist tatsächlich der Indische Ozean und die Heimat 7000 Kilometer entfernt.
Es ist ein noch ein inneres Ringen zwischen Misstrauen und vollkommenem Genuss. Wir sind gekommen, um zu helfen, um für andere dar zu sein, um das Leben der anderen zu verstehen und das eigene Leben schätzen zu lernen, dabei begegnet man den meisten leider mit einem leichtem Gefühl von Misstrauen. Als Wazungu werden wir belächelt und jeder startet den Versuch uns über den Tisch zu ziehen. Im Dala Dala will der Schaffner ein paar Hundert mehr, der Bajajfahrer nimmt dich nur für 5000 Shilling mit, statt den eigentlichen 2000 und die Eisverkäufer verstehen erst nach dem vierten Mal, dass man wirklich kein Eis will. Beim Joggen werden die Schuhe gemustert mit dem Gedanken, ob man nicht ein paar neue Laufschuhe braucht. Bei Abenddämmerung wird am Fischerstrand versucht uns hinter ein Boot zu locken, um wer weiß was von uns in Besitz zu nehmen. Ignorierend entgehen wir dieser unangenehmen Situation. Für einen intensiven Blick wird jede Unterhaltung unterbrochen und unverständliches Gemurmel geht in leichtes Gelächter über...

Hakuna Matata – eine völlig gelassene, sorglose Welt wirkt dem entgegen. Eine junge Dame bietet mir freundlich ihren Sitzplatz im Dala Dala an, da sie merkt, dass ich eine Kopflänge zu groß geraten bin. Lächelnd freuen sich die Insassen, dass ich auf ihrer Sprache dankend ablehne und informieren sich interessiert, warum wir uns ihrer Welt hingeben. Mit Witz und Tiefgang unterhalten wir uns über Gott und die Welt. In der gemeinsamen Liebe zu Jesus findet man gelegentlich dann vollkommene Verbundenheit. Jede Unterhaltung endet mit einer persönlichen Einladung zu sich nachhause, jeder will weiteren Kontakt halten und Nummern werden ausgetauscht. Im Gottesdienst werden wir stets als „most welcomed guests“ begrüßt. Der gleichnamige Bajajfahrer Paolo macht einen angemessenen Preis und überlässt mir das Steuer für die ganze Fahrt. Hupend grüße ich die Leute am Straßenrand, die das Bild eines weißen Bajajfahrers verarbeiten müssen. Am Strand rufen dich Fremde zum Fußballspielen und nach dem ersten Tor, an dem du mit beteiligt bist, werden kurz Namen nach einem netten Handschlag ausgetauscht und man freut sich über den gemeinsamen Erfolg.
Man trifft ständig auf Menschen, die es verstehen zu leben in einer Welt, in der es so viel zerstörtes Leben gibt. Der volle Genuss der Nähe zu diesen Menschen lässt Misstrauen allmählich schwinden und starkes Verlangen jedem in Liebe zu begegnen, wächst.
Ich gewöhne mich an die lange Hose in der Hitze, vertrage das Essen sehr gut und kämpfe heroisch gegen die Mücken. Mit Freude erfüllt tanzen Philipp und ich zu afrikanischer Musik in den Abend hinein.
Von der wilden Fauna Afrikas habe ich noch nicht allzu viel zu sehen bekommen, abgesehen von der Pantherschildkröte in der Shamba und den täglich grüßenden Hausgeckos.
Frederic Chopin, bekannte Tanzmusik am Imbissstand, der Mond, die Musik auf meinem Ipod und ein liebevoll gestaltetes Erinnerungsbuch, lassen mich immer wieder an mich Liebende denken und Sehnsucht nach vertrautem Lachen schleicht sich ein. Tiefe Liebe verspüre ich für Freunde und Familie, die hoffentlich glücklich die Heimat genießen.
Ich bin nicht alleine. Ich schöpfe Kraft in Gott, der mir Zuflucht und Schutz ist. Ich spüre Seine Liebe, Sein Lächeln, Seine Nähe, Seine Fürsorge und die Freude darüber, dass ich Schritte in Seine Richtung unternehme.

Montag, 5. September 2011

Ich bin in Afrika!


Über den Wolken gleite ich nach Istanbul, wo ich meine Gefährten Philipp und Anna treffe und wir uns auf nach Dar es Salaam machen. Ich kann nicht glauben, dass es wirklich wahr ist. Einen kleinen Gedanken habe ich zugelassen, der zur Sehnsucht wurde und nun sitze ich im Flieger und fühle wie mein Fernweh gestillt wird und sich Frieden einschleicht. Eine Entdeckungsreise mit dem Ziel unbekanntes Land zu finden, sich selbst. Einem Ruf folgend, den ich tief im Herzen in mir trage. Solch eine Ruhe empfinde ich, nachdem ich schweren Herzens so sehr Geliebte zurückgelassen habe. Ich lasse mich ein, auf eine neue Welt, neue Eindrücke und ich bin ganz hier.
Früh am Morgen betreten wir tansanischen Boden. Nach langem Warten bekommt mein Reisepass den ersten wichtigen Stempel: „Allowed to stay for three months...01 SEP 2011 TANZANIA“. Es fühlt sich komisch an aus dem Flughafen herauszutreten. Eine handvoll Taxifahrer bemerken die große Beute, die wir darstellen und fangen an zu angeln. Wazungu nennen sie uns, was so viel heißt wie Umherirrender. Eine andere Bezeichnung für die Weißen gibt es nicht, mit der sie jedoch gar nicht so weit daneben liegen. Wir werden von Markus empfangen, der uns anhand seines Fahrstils, seiner ausstrahlenden Sicherheit und dem gelassenen Umgang mit den Einheimischen schnell klar macht, dass er dazu gehört. Er trägt afrikanisches Herz in sich und hat das halbe Dorf zum Freund. Das Haus der Drotleffs kommt fast an europäische Verhältnisse ran. Es gibt Elektrizität und fließendes Wasser. Die ständigen Stromausfälle stören nicht, sondern schaffen einen nur noch klareren Sternenhimmel. Ebenso wenig wie die kalte Dusche am Morgen, die bloß die nötige Frische für die Hitze am Tag gibt. Ich genieße die Sonne und hole den in Deutschland nicht vorhandenen Sommer nach. Palmen und der Ausblick auf den Indischen Ozean geben dem Ganzen ein Gefühl von Urlaub. Dank des Sprachkurses bei Mama Lusuva führe ich sogar erste erfolgreiche Konversationen mit dem Nachtwächter, dem Gärtner, den Hunden und den kleinen Kids, die einem lächelnd zuwinken und auf „Mambo“ gekonnt „Poa“ antworten.
Gladiatorisch begebe ich mich Nacht für Nacht in das Kolosseum Moskitonetz und habe bereits einen wichtigen Kampf trotz fünffachen Stich eines einzigen Gegners gewonnen. Tod durch bloßen Handschlag – einer musste sterben.
Das eingemauerte Gelände der Drotleffs gibt einem das Gefühl von Sicherheit in einer von Kriminalität gefüllten Umgebung. Für einen kleinen Rundgang haben wir uns vor die Tore begeben und es ist nicht zu fassen, was man zu sehen bekommt. Wir laufen die Straße entlang, die in Deutschland nicht mal als Feldweg durchgehen würde und beobachten kleine Verkaufsstände in brüchigen Hütten, in denen sich die Leute hier ein wenig Geld verschaffen. Man fühlt sich von Blicken durchlöchert und ein wenig bedroht. Dabei will man so gerne unter ihnen sein, ihnen zuhören und sie verstehen, von ihnen lernen, mit ihnen lachen und ihre Gemeinschaft genießen, doch noch besteht diese Sprachbarriere und noch sind wir weiß. Unverständlicherweise scheinen sie irgendwie glücklich zu sein. Kinder laufen lachend die Straße entlang und spielen Fußball und Jugendliche singen und tanzen Swahili Lieder. Es tut so gut, Kindern zu begegnen, die einen lächelnd begrüßen. Sie geben eine Freude weiter, die ansteckt.
Am Wochenende feierten die Muslime aus der Gegend den Ramadan und der Strand war gefüllt mit Jugendlichen. Indischer Ozean rollt über meine Füße, wobei es diesmal nicht leicht fällt dem Meer das gewohnte Freiheitsgefühl zu entnehmen, da man mit seiner Hautfarbe einfach so sehr auffällt, als leichte Beute gesehen wird und man sich ein wenig bedroht fühlt. Philipp wird für ein Fotoshooting zur Seite genommen und Markus und ich fangen an den Fußball ein wenig rumzukicken. Innerhalb der nächsten zehn Minuten haben sich zwei Teams gebildet und es wird abenteuerlich Fußball gespielt. Es geht scheinbar nicht um Punkte, nicht um Sieg, sondern einzig und allein darum ein wenig Spaß zu haben. Keiner stört sich an dem anderen und jeder Angriff endet mit einer Landung in Sand und es fühlt sich gut an. Sport schafft Barrieren beiseite und vereint unabhängig von Sprache, Hautfarbe und Persönlichkeit. Wie dankbar man für so einen rollenden Ball doch sein kann.
Am Sonntag bekommen wir von Mama Lusuva eine kleine Einführung in die korrekte Fortbewegung mit einem Dala Dala. Eins ist sicher, diese Busse werden nie voll. Einer geht immer noch rein und angehalten wird sogar für Ziege und Huhn. Angekommen in Dar es Salaam schlägt sich ein Schaffner mit einigen Insassen vor dem Bus vor uns um das Fahrtgeld. Wir werden von Tabea und ihren Kids aufgeschnappt, die uns mit in den Gottesdienst nehmen. Alle Erwartungen bezüglich der afrikanischen Gottesdienste haben sich bestätigt. Der Chor bringt einen zum Tanzen, jedem Gast wird persönlich von allen Pastoren die Hand geschüttelt und der Prediger knackt die Dreistunden Marke. Ich hab die Zeit für einen kurzen Powernap genutzt, um nachher für das Gebet wieder topfit zu sein. Den Nachmittag haben wir am mit Palmen übersäten Goldstrand verbracht und in den ehemaligen Straßenjungs von Mama Tabea unsere ersten Freunde gefunden. Eine einfach wirklich geniale Truppe mit unglaublichen Lebensgeschichten. Auf dem Rücken im Indischen Ozean treibend, mit Blick auf den blauen Himmel, im heruntergekommenen Bus mit afrikanischer Musik den unglaublich schönen Sonnenuntergang bestaunend, bekomme ich das erste Mal tiefe, ehrliche Freude und realisiere langsam: Ich bin in Afrika!“. 

PS: Danke für das Buch. Es hat mich bis zu Tränen gerührt!  

Mittwoch, 24. August 2011

Letzter Genuss!

Noch sieben Tage in der Heimat, sieben Tage bis ich ins Ungewisse springe und eine neue Welt sich mir öffnet. Der Ausblick von meinem Balkon wird zum Genuss, die Flasche Bier mit einem Freund goldwert und jede deutsche Unterhaltung, selbst stumme Konversation, tut dem Herzen gut. Wie man genießen kann, wenn man weiß, dass man geht. Bewusstes Genießen macht das Leben schön. Heimat bekommt einen tieferen Wert und ich verstehe sie ganz neu wahrzunehmen.
Ich betrachte den scheinbar unstrukturierten Häuserbau, eingebettet im grünen Waldwuchs, lausche dem Gesang der Vögel, die völlig befreit die Lüfte durchbrechen und sich gelegentlich Flugpausen in ihren Nestern unter dem Dachvorsprung gönnen. Kinder spielen sorglos auf dem Hof und die Wolken ziehen vorbei, als gäbe es kein Morgen mehr. Nichts von alledem macht diese Heimat heimisch. Gemeinsam diese Dinge zu bemerken, über Sachen zu lachen, die nur wir verstehen und zu weinen über Angelegenheiten, die wir nicht verstehen. Menschen, Freunde, Familie - diejenigen, vor denen ich echt bin und die mich ebenso lieben sind es, die mir meine Heimat schaffen. Eben genau diese Vertrauten machen das Fortgehen nicht leicht.
Ich bin getrieben von Fernweh, Reiselust und Abenteuer. Ich will hinaus aus der Gewohnheit und will Gewohntes in einem anderen Licht sehen. Das Unbekannte zieht mich an, das Ungewisse reizt. Ich will mich selbst herausfordern und wachsen. Bereit zur Veränderung, bereit mich neuen Einflüssen auszusetzen und gespannt wie mein Ich damit klar kommt. Tiefe Sehnsucht lässt mich gehen und gibt mir Mut Altgeliebtes hinter mir zu lassen.
Ich stehe zwischen Heim- und Fernweh, zwischen Gewohnheit und Ungewissheit, zwischen Sicherheit und Abenteuer und starte den Versuch gegensätzliche Welten in mir zu vereinen.
Doch zunächst einmal heißt es sieben Tage bewusstes Genießen - ein Leben lang leben!