Montag, 28. November 2011

Alltag und Feuer

Es ist nicht leicht sich auf Morgen zu freuen, denn die letzten Morgen bin ich mit solch einer unerklärlichen Unruhe in den Tag gefallen. Doch wehe mir, wenn ich anderen den Segen durch mich verwehre, wenn ich keine Freude in mir trage. Die Tage sind schwer voneinander zu unterscheiden. Sie beginnen früh mit Haushaltsaufgaben, einer Andacht, Chai ya Maziwa, die genussvollste Mahlzeit des Tages. Reis mit Bohnen, Reis mit Fisch, Ugali mit Dagha (Fisch), Makonde sind die spärliche Konkurrenz. Heute ist Sonntag, heute gab es Fleisch. Zwei kleine Stückchen durfte ich wertschätzen mit dem Hintergedanken, dass hoffentlich auch jeder etwas abbekommt. Langsam ist der Friedensvertrag mit Ugali durchgesetzt und ich konnte bei den letzten beiden Malen, fast von einer guten Kost sprechen. An das neue traditionelle Besteck „Finger“ findet man richtig gefallen und hat sogar dazu geführt, dass ich alt eingesessene Tradition geändert habe und mir den Hintern nun mit der linken Hand abwische und die rechte für das Essen heilig gehalten wird.

Der Englischunterricht geht nur schleppend voran, weil die Kids nicht lernen und nicht die richtige Motivation haben. Eine Woche bis zum Aufnahmeexam. Ich bin gespannt, wer sich bewährt. Mit Gebet hoffe ich auf Gnade und Wunder!

Meine freie Zeit nutze ich um zu lesen, werde aber von der ständigen Müdigkeit immer wieder zum Schlafen verführt. Immer wieder reiße ich aus und suche einsame Stunden. Die ersten Berge der Umgebung sind schon bestiegen. Beim letzten Aufstieg habe ich sechs der Kinder mitgenommen und wir wurden durch ein kleines Abenteuer geführt. Aufgrund der spontanen Abreise ging es erst gegen 4 p.m. Richtung Berg. Unterwegs stellen wir fest, dass er weiter entfernt ist, als es aus der Ferne erscheint und dass eine Flasche Wasser pro Mann zu wenig ist. Nach einer Stunde suchen wir Zuflucht im Schatten eines kleinen Baumes. In der nächsten Stunde erreichen wir den Berg. Völlig trocken und menschenleer ist diese Gegend. Die Anstrengung beim Aufstieg und der Mangel an Wasser haben uns nicht den höchsten Punkt erreichen lassen. Auf einem Felsen finden wir Zeit zum Durchatmen und für ein paar Beweisfoto, als wir im Tal ein scheinbar harmloses Feuer erkennen. Mit Geschwindigkeit frisst es das Stroh um sich herum und nimmt Strauch und Baum gefangen. Der geplante Rückweg wird uns vom Feuer versperrt und in der steileren Schräge des Berges eilt uns das Feuer entgegen. Wir sind zu weiteren Aufstieg gezwungen, um auf der anderen Seite dem Feuer zu entfliehen. In Eile rutschen wir den steilen Hang hinunter und stoßen auf einen kleinen Pfad. Wir folgen dem Pfad und schaffen es rechtzeitig zwischen zwei Feuerfronten hindurch zu marschieren. Dankbar erkenne ich Gebetserhörung. Die Dunkelheit setzt langsam ein und wird schnell zu Finsternis. Mit einer schwachen Leuchte suchen wir uns einen Rückweg und wandern unter schönem Sternenhimmel. Wasser haben wir uns vorher aus einer kleinen Hütte besorgt. Glücklich über die überstandenen Gefahren werfe ich einen letzten Blick auf den in Flammen stehenden, kilometerweit entfernten Berg und trete völlig erschöpft ins Haus ein und finde festen Schlaf.
Drei Monate sind jetzt vergangen und Weltwärts hat den ersten Erfahrungsbericht von mir eingefordert und mich um eine Reflektion meiner Gefühlswelt gebeten und mich über Entwicklungspolitik nachdenken lassen. Ich esse Ugali mit ihnen, fege ein wenig durch die Gegend, bringe ihnen Englisch bei, klopfe ein wenig mit Hammer und Nagel, spiele Fußball mit ihnen und erfreue mich am gemeinsamen Musizieren. Abends sitze ich mit ihnen auf einer Bank, angelehnt an die von der Sonne gewärmten Hauswand und rede und lache mit ihnen, bis die Sonne nach buntem Schauspiel die Sterne auf die Bühne lässt. Was von alledem als wirklich entwicklungspolitisch fördernd eingestuft werden kann, kann ich nur schwer beurteilen, doch was Entwicklungspolitik definitiv in den Schatten stellt ist bedingungslose Liebe. Ihr Lachen zu teilen, ihnen Freund sein und ihnen zuhören, wenn sie sich vertrauensvoll öffnen, sind die Dinge, die sie nicht vergessen und die Kinder, die von ihren Eltern in der Bananenplantage ausgesetzt wurden oder ihre Eltern an Aids verloren haben und den selben Lebensausgang erwarten, wirklich brauchen. Wer sich in ein Waisendorf begibt, um eine bessere Welt zu bringen, wird feststellen, dass sie diese gar nicht brauchen. Vielmehr brauchen sie Menschen, die ihre gebrochene Welt versuchen zu verstehen und sie mit Liebe in den Arm nehmen.
"And there will come a time, you'll see, with no more tears and love will not break your heart, but dismiss your fears. Get over your hill and see what you'll find there, with grace in your heart and flowers in your hair" sind die Worte von Mumford and Sons, die mir die richtige Stimmung für die letzten Zeilen geben.

Mittwoch, 9. November 2011

Afrikanische Welt - Morogoro

Und schon wieder sitze ich im Flieger und gehe. Etwas mehr als einen Monat habe ich in Kemondo verbracht und habe die Kids lieben gelernt. So schwer mir der Abschied auch fiel, die Kinder haben es nicht ganz verstanden. Den Hausmamas fiel es mir schwer zu sagen, was ich wirklich fühle und die Kids, die mir wirklich ans Herz gewachsen sind und die mich mit zum Hafen begleitet haben, sind den Abschied gewohnt und haben sich mehr für die Mannschaft der tansanischen Premierleague interessiert, die sich mit an Bord der Fähre befand, als einem Mzungu winkend in die wirklich afrikanische Welt zu verabschieden.

Es ist belastend, dass jeder Ort dich irgendwann mit Erwartungen überläuft – selbstgestellt oder von außen. Wenn ich alleine auf einer Insel fest sitzen würde, würde irgendwann die Pflicht drücken sich Nahrung zu verschaffen. Und immer ist da dieser Drang alles richtig zu machen. Ich wünsche mir so sehr göttliche Ruhe in mir zu tragen und völlig sorgenfrei, nicht sorglos, fürsorglich den Tag zu leben. Die Tatsache, dass ich immer mehr tun kann, als ich tue, plagt -  die Welt retten kann ich jedoch auch nicht. Lass Frieden herrschen zwischen Tatendrang und Gelassenheit.

Die Afrikaner scheinen ganz der Gelassenheit verfallen zu sein, was zum großen Teil daran liegt, dass der afrikanische Lebensstil viel Geduld erfordert. Überall und auf alles wird gewartet und alles passiert später als geplant, wenn überhaupt geplant. Übermäßige Arbeit wird jedoch stumm ertragen, statt den Erfindergeist zu aktivieren und sich Erleichterung zu verschaffen. Etwa 20 Männer habe ich gezählt, die mit der Fikeo, dem afrikanischen Handrasenmäher, den Rasen am Flughafen bearbeiten. In Deutschland hätte eine Person auf einer Maschine gereicht. Ich frage mich wie viele Jahre Afrika noch braucht bis es nicht mehr gebeugt durchs Leben läuft, mit dem Leben auf dem Kopf…

Morogoro erwartet mich und das echte afrikanische Leben ohne Strom und Fließendwasser steht vor der Tür. 28 Kinder kennen bereits meinen Namen und ich reise mit einer einzigen Sprache im Handgepäck – Kiswahili als einzige Verständigungsmöglichkeit. Wer hätte gedacht, dass man bei der Begegnung mit einer Truppe von höchstens 15 Jährigen so aufgeregt sein kann.

Im Schlafbereich des Seitenladers nähere ich mich meiner neuen Heimat. In bereits eingetroffener Dunkelheit rollen wir auf das Gelände und bereiten das Abladen des mitgebrachten Containers vor. Die Kids sind auf dem Geländer verstreut und halten Ausschau nach dem Weißen, der sie für die nächsten neun Monate beim Leben begleitet. Ich mache meine ersten Fußtritte auf den sandigen, trockenen Boden und weiß noch gar nicht wo ich stehe und kann noch nichts einordnen. Die ersten Jungs frage ich nach ihre Namen und vergesse sie sogleich. Die kleine Pendo kann ich mir jedoch gleich einprägen. Pendo wie die Liebe – welch schöner Name. Nach dem ersten, kurzen Gespräch mit Tina finde ich heraus, dass Pendo die Jüngste im Center ist und ihren Namen von einer Krankenschwester erhalten hat. Ihre Mutter hat sie im Krankenhaus abgegeben und auf die Namenskarte „Nicht gebraucht“ geschrieben. Die Krankenschwester hat diese Worte mit „Liebe“ ersetzt. Bei der ersten Ibada (Andacht) am selben Abend habe ich alle 28 Kinder samt Dadas und Bibi Esther und Mama Eli im Solarlicht vor mir sitzen. Auf Kiswahili haue ich eine vollständige Introduction raus mit dem Bewusstsein, dass mir hier nur diese Sprache weiterhilft.

Kaka Zakaria ist der einzige potentielle, männliche Freund ansonsten habe ich hier einige Dadas denen ich unverständig zuhöre. Kiswahili erlaubt mir noch nicht zu sagen, was ich fühle, meine Gedanken bleiben Gedanken und jeder Witz verstummt in mir. Die Kids sind geduldig mit mir und freuen sich mich um sie zu haben. Ihr Gelächter lässt mich meine grammatischen Fehler erkennen. Ich bin müde. Seit ich am Freitag  hier angekommen bin, habe ich mit Müdigkeit zu kämpfen. Hitze, die den ganzen Tag überdauert und totale Konzentration, während ich Swahili Konversation verfolge und doch nicht verstehe, sind mögliche Gründe. Jeder Satz, den ich beitragen will, muss vorher gut durchdacht sein. Bloß nicht anfangen zu sprechen, wenn du weißt, dass dir gleich eine Vokabel fehlt. Es fühlt sich wie ewiges Tabuspielen an und ist anstrengend, doch schon bald bin ich in der Lage mit ganz Ostafrika die Welt zu diskutieren.

Groß ist die Gefahr hier in Einsamkeit zu versinken und ich bin gespannt was sich in neun Monaten in mir entwickelt und was sich verändert. Liebe zu den Kindern wächst mit jedem Lachen, dass sie mir zu werfen und Motivation für diesen eingezäunten Ort steigt. Ich hoffe doch noch sehr auf wenigstens einen Seelenverwandten.

Unter Robby Hales Gesang mit Alltagslyrik schaukel ich in den Sonnenuntergang hinein mit Blick auf die gewaltigen Berge vor mir, die sich hinter der Stadt aus dem flachen Land erheben. Einen weiten Schatten wirft die Schaukel auf den staubigen, harten, trockenen Boden. Windstöße wirbeln den Dreck in die Luft und lassen mich meine Augen zusammenkneifen.  Die Bananenstauden neben an verdursten und leiden unter Trockenheit in der eigentlichen Regenzeit. Für einen kurzen Moment schaffe ich es die Ruhe, die Ferne, das Alleinsein, Afrika wirklich zu genießen. Das Schaukeln bringt mich auf nostalgische Gedanken. Ich denke an enge Freunde, meine Familie, gute Musik, Kim, Nutella, gutes deutsches Bier, deutsche Natur und genieße afrikanisches Leben.

Am ersten Tag bekomme ich die wöchentliche Jungengruppe übergeben, ich halte Andachten und bin seit heute Englischlehrer. Einen Monat haben wir Zeit ihnen Stoff von zwei Jahren beizubringen, damit sie die Aufnahmeprüfung in der neuen Schule schaffen. Ich bin der erste FSJ’ler an diesem Ort und darf Geschichte schreiben. Ich fühle mich gebraucht und das ist gut.

Jeder Tag beginnt mit Brot mit Blue Band (Butter) und Tee mit Milch. Sonntags gibt es ein Ei. Jeden Tag esse ich Reis mit Bohnen, gefolgt von Ugali ohne Salz. Abends dusche ich mit Eimer und kacke im Stehen. Haha!

Es geht mehr in mir vor, als ich hier preisgebe, vergebt, dass ich es nicht auf diese Weise mache -  zu viele potentielle, nicht vertraute Leser.