Dienstag, 21. Februar 2012

Afrikanischer Alltag

Nachdem anfangs alles neu, alles fremd, alles aufregend war, lebe ich nun im afrikanischen Alltag. Ich beginne meinen Tag damit die Kinder aus dem Bett zu reißen, reite sie über afrikanische Offroadstraße zur Schule. Dann suche ich mir Arbeit in der Shamba, pinsel durch die Gegend, lege Fundamente, spiele hier und da Fundi (Handwerker), räume Lager ein, um es später wieder auszuräumen, buddel Löcher in den Boden und erledige Einkäufe. Zur Mittagszeit, wenn die Sonne senkrecht auf den Kopf knallt geht es durch Morogorowelt und ich komme mit Kindern zurück. Am Nachmittag bin ich Mwalimu Paulo (Lehrer) und unterrichte Englisch in Kiswahili und wunder mich, dass es funktioniert. So wie überall nach einiger Zeit, lebe ich in Gewohnheit und mit Ehrfurcht begegne ich ihr. Gewohnheit lässt dich vergessen wo du bist, raubt dir die Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge, lässt dich vergessen zu danken oder man dankt aus Gewohnheit ohne nötigen Ernst. Gewohnheit nimmt dir die Fähigkeit zu schätzen. Vor Gewohnheit bin ich einst geflohen und finde mich wieder in Gewohnheit.
Ich bete für die erste Liebe, die mir die erste Zeit so besonders gemacht hat und mich sprachlos dieser Welt gestellt hat. Ich bete nicht den Sinn zu verlieren, in meinen Taten und das einzig richtige Motiv der LIebe zu gebrauchen. Ich bete für anhaltende Freude, trotz gelegentlicher Mutlosigkeit. Wo ich anfangs der Exot in einer exotischen Welt war, gehöre ich heute einfach dazu und es raubt ein wenig die Motivation, wenn man keine Dankbarkeit verspürt. Heute laufen mir Biana und Ratifa entgegen und übergeben mir einen Brief von Rehema, der mich trotz einfacher Worte fasst zu Tränen gerührt hat. Für jede noch sie kleine Tag spricht sie aufmerksam Dank aus und schätzt, dass ich mich ihrer Welt hingebe und schließt mit den Worten. „I love you so much“. Ich realisiere, dass hier das erste Mal konkret Dank ausgesprochen wurde und schätze es vom tiefstem Herzen. Wo ich vorhin noch an dem Sinn meiner Taten gezweifelt habe, wächst neue Motivation. Zu Abend habe ich ein halbes Dutzend Briefe zu beantworten und verstehe ich bin geliebt an diesem Ort. Ich merke wie sehr ich sie liebe. Die kleinen unbedeutenden Momente, die keinen interessieren, machen den Alltag so besonders.
Kaka Benni ist zur Zeit mein Mitbewohner und ich habe einen Seelenverwandten in ihm gefunden. Er ist Opfer der Flutkatastrophe in Dar Es Salaam und hat sein ganzes Hab und Gut verloren, samt Kleidung und Möbel. Ein Bett ohne Matratze ist ihm geblieben. Ein paar meiner Kleidungsstücke gehören bereits ihm. Die Gemeinschaft mit ihm tut mir gut und ich lache herzhaft und fühle wachsende Freundschaft, die noch lange hält.
Übermorgen besteige ich den Flieger nach Südafrika für das Zwischenseminar und bin gespannt wie diese Ecke Afrikas auf mich wirkt. In Plettenberg Bay ist die höchste Brücke weltweit, von der ein Bungeesprung möglich ist. Wer weiß, ein Sprung hinaus aus der Gewohnheit?

Mein Typhuswert ich noch nicht gesunken, ich fühle aber keine Symptome. Verharrt bitte im Gebet!

In Liebe

Dienstag, 7. Februar 2012

Mein Ringen

Alles, was auf mich wirkt ist so momenthaft und sprunghaft, dass nicht einmal meine Seele alles gefasst bekommt, wie soll Verstand da hinterher kommen? Mit Verstand wird geschrieben, doch mein Herz hat so viel zu sagen, was Stift und Papier nur begrenzen. Und immer wieder klage ich und finde mich wieder mit diesen einleitenden Zeilen, die die Unvollkommenheit des Geschriebenen entschuldigen. Immer wieder greife ich zu denselben Worten und Fachbegriffe, die minimalisieren, fehlen mir. Ich schreibe, weil ich alleine bin - ich schreibe, um zu sehen, dass ich nicht alleine bin.

Solange quält man sich mit seiner Unzulänglichkeit, bis man sie eingesteht und erkennt, dass man doch nicht alleine ist. Ein oder zwei Talente hat mir mein Herr mit auf den Weg gegeben, mit denen ich mich durch die Welt kämpfe. Nur so leicht bepackt habe ich Heimat verlassen, doch der Gebrauch schafft mein Ringen.
Ich schreibe, spiele die Saiten, dichte und singe mit gegebener Leichtigkeit. „ich kann“ spricht meine Seele und lässt mich glücklich, doch stolz. Erinnerung sticht mir in den Kopf und zeigt mir mich selbst vor Menschen, die bedauernd schweigen, als ich mich dermaßen in der Wortwahl mit irreführendem Gedankengang vergriffen habe. Ich versinke in meiner Schwachheit und grabe tief für die ein oder zwei Talente. Stolz zieht in die Höhe, während meine Schwachheit mit vollem Gewicht der Gravitation nachgibt. Ich zerreiße mich selbst.
Geist, gib mir Dein Maß und lass all meine Stärke meine Schwachheit sein, durch die Du stark bist. Ich habe keine Stärke, die nicht durch Dich aus Schwachheit heraus gewachsen ist. Von mir wegblickend, hoch hinauf, schaue ich.

Ohne große Gedanken, nimmt der halb bekleidete, belustigende Mann meine Aufmerksamkeit mit den Worten: „Wir sind uns ziemlich ähnlich, da wir den gleichen Vater haben, aber verschiedene Mütter.“ Nach scherzhaftem weiteren Vergleichen, verabschiedet er sich schnell: „Wir treffen uns dann morgen wieder hier!“  Ich befinde mich in einer leicht belebten Gasse irgendwo in der Stadt. Wie erleichternd diese Erkenntnis von einem Schwarzen, auch wenn von der Gesellschaft vielleicht für verrückt Erklärtem, vermittelt zu bekommen…

Ich ziehe weiter und meine Gedanken bleiben an dem in einem Reifen sitzenden, von der Masse umjubelten Mann hängen. Lachend und applaudierend erfreut sich die Menge an ihrem Erfolg und feiert den Umzingelten. Regungslos sitzt er da, während seine Frau bei schwachem Licht der Öllampe, mit ein paar Eimern Wasser und vielleicht drei Kindern auf seine Rückkehr wartet. Das Wasser steht schon über der Flamme und braucht seine Zeit, bis es bei der schwachen Glut zum Kochen kommt. Das Verkaufen von tansanischen Flaggen, hat sich der Vater im Reifen zum Beruf gemacht und reicht nicht aus um seine fünfköpfige Familie durchzubringen.  Not gibt Mut zu unvergesslicher Tat.  Sein Tageslohn hat heute nicht für den Einkauf des Ugalimehles gereicht und das Wasser mit dem aufsteigenden Dampf siedet schon. Nur ein Handgriff, genug für den heutigen Abend, um morgen einen neuen Versuch mit seinen tansanischen Flaggen zu starten. Nur eine Handvoll brauchte er zum Leben an diesem Abend. Eine Handvoll hat gereicht. „Mwizi, mwizi“ waren die Worte, die das Schauspiel mit dem Reifen eingeleitet haben. Die Worte, mit denen sie ihren Erfolg rechtfertigen, während ich völlig entsetzt im Kreis stehe und an das bereits abgekochte Wasser in der Lehmhütte denke.
Zakarias Beschreibung von diesem, von ihm gesehenen, verkohlten Mannes im Autoreifen, hat mich an seine mögliche Geschichte denken lassen, die er keinem erzählen kann und mich sie einfach erfinden lassen hat, doch so wahr ist sie in dieser Welt. Es waren die Leute, denen ich täglich auf der Straße begegne, die mich stets grüßen und mich drängend zu sich nach Hause einladen, um ihren letzten Sack Ugalimehl aufzubrauchen. Es waren eben diese Leute, die lachend im Kreis standen. Jeder, der versucht einen Dieb zu verteidigen, darf sich ihm anschließen und seine letzten Minuten brennend in einem Autoreifen verbringen oder man wird ans Kreuz gehängt.