Freitag, 16. September 2011

Hakuna Matata!


Wir sind jetzt schon mehr als eine Woche auf noch unerforschtem Land. Es ist immer noch schwer wahrzunehmen, dass die Sonne im Norden ihren höchsten Punkt erreicht, täglich einen weiten Bogen vertikal über unsere Köpfe zieht, der Mond in der Nacht auf dem Rücken liegt und ich hier den großen Wagen vergeblich im Sternenhimmel suche. Das Gewässer, dass ich in der Ferne beobachte ist tatsächlich der Indische Ozean und die Heimat 7000 Kilometer entfernt.
Es ist ein noch ein inneres Ringen zwischen Misstrauen und vollkommenem Genuss. Wir sind gekommen, um zu helfen, um für andere dar zu sein, um das Leben der anderen zu verstehen und das eigene Leben schätzen zu lernen, dabei begegnet man den meisten leider mit einem leichtem Gefühl von Misstrauen. Als Wazungu werden wir belächelt und jeder startet den Versuch uns über den Tisch zu ziehen. Im Dala Dala will der Schaffner ein paar Hundert mehr, der Bajajfahrer nimmt dich nur für 5000 Shilling mit, statt den eigentlichen 2000 und die Eisverkäufer verstehen erst nach dem vierten Mal, dass man wirklich kein Eis will. Beim Joggen werden die Schuhe gemustert mit dem Gedanken, ob man nicht ein paar neue Laufschuhe braucht. Bei Abenddämmerung wird am Fischerstrand versucht uns hinter ein Boot zu locken, um wer weiß was von uns in Besitz zu nehmen. Ignorierend entgehen wir dieser unangenehmen Situation. Für einen intensiven Blick wird jede Unterhaltung unterbrochen und unverständliches Gemurmel geht in leichtes Gelächter über...

Hakuna Matata – eine völlig gelassene, sorglose Welt wirkt dem entgegen. Eine junge Dame bietet mir freundlich ihren Sitzplatz im Dala Dala an, da sie merkt, dass ich eine Kopflänge zu groß geraten bin. Lächelnd freuen sich die Insassen, dass ich auf ihrer Sprache dankend ablehne und informieren sich interessiert, warum wir uns ihrer Welt hingeben. Mit Witz und Tiefgang unterhalten wir uns über Gott und die Welt. In der gemeinsamen Liebe zu Jesus findet man gelegentlich dann vollkommene Verbundenheit. Jede Unterhaltung endet mit einer persönlichen Einladung zu sich nachhause, jeder will weiteren Kontakt halten und Nummern werden ausgetauscht. Im Gottesdienst werden wir stets als „most welcomed guests“ begrüßt. Der gleichnamige Bajajfahrer Paolo macht einen angemessenen Preis und überlässt mir das Steuer für die ganze Fahrt. Hupend grüße ich die Leute am Straßenrand, die das Bild eines weißen Bajajfahrers verarbeiten müssen. Am Strand rufen dich Fremde zum Fußballspielen und nach dem ersten Tor, an dem du mit beteiligt bist, werden kurz Namen nach einem netten Handschlag ausgetauscht und man freut sich über den gemeinsamen Erfolg.
Man trifft ständig auf Menschen, die es verstehen zu leben in einer Welt, in der es so viel zerstörtes Leben gibt. Der volle Genuss der Nähe zu diesen Menschen lässt Misstrauen allmählich schwinden und starkes Verlangen jedem in Liebe zu begegnen, wächst.
Ich gewöhne mich an die lange Hose in der Hitze, vertrage das Essen sehr gut und kämpfe heroisch gegen die Mücken. Mit Freude erfüllt tanzen Philipp und ich zu afrikanischer Musik in den Abend hinein.
Von der wilden Fauna Afrikas habe ich noch nicht allzu viel zu sehen bekommen, abgesehen von der Pantherschildkröte in der Shamba und den täglich grüßenden Hausgeckos.
Frederic Chopin, bekannte Tanzmusik am Imbissstand, der Mond, die Musik auf meinem Ipod und ein liebevoll gestaltetes Erinnerungsbuch, lassen mich immer wieder an mich Liebende denken und Sehnsucht nach vertrautem Lachen schleicht sich ein. Tiefe Liebe verspüre ich für Freunde und Familie, die hoffentlich glücklich die Heimat genießen.
Ich bin nicht alleine. Ich schöpfe Kraft in Gott, der mir Zuflucht und Schutz ist. Ich spüre Seine Liebe, Sein Lächeln, Seine Nähe, Seine Fürsorge und die Freude darüber, dass ich Schritte in Seine Richtung unternehme.

Montag, 5. September 2011

Ich bin in Afrika!


Über den Wolken gleite ich nach Istanbul, wo ich meine Gefährten Philipp und Anna treffe und wir uns auf nach Dar es Salaam machen. Ich kann nicht glauben, dass es wirklich wahr ist. Einen kleinen Gedanken habe ich zugelassen, der zur Sehnsucht wurde und nun sitze ich im Flieger und fühle wie mein Fernweh gestillt wird und sich Frieden einschleicht. Eine Entdeckungsreise mit dem Ziel unbekanntes Land zu finden, sich selbst. Einem Ruf folgend, den ich tief im Herzen in mir trage. Solch eine Ruhe empfinde ich, nachdem ich schweren Herzens so sehr Geliebte zurückgelassen habe. Ich lasse mich ein, auf eine neue Welt, neue Eindrücke und ich bin ganz hier.
Früh am Morgen betreten wir tansanischen Boden. Nach langem Warten bekommt mein Reisepass den ersten wichtigen Stempel: „Allowed to stay for three months...01 SEP 2011 TANZANIA“. Es fühlt sich komisch an aus dem Flughafen herauszutreten. Eine handvoll Taxifahrer bemerken die große Beute, die wir darstellen und fangen an zu angeln. Wazungu nennen sie uns, was so viel heißt wie Umherirrender. Eine andere Bezeichnung für die Weißen gibt es nicht, mit der sie jedoch gar nicht so weit daneben liegen. Wir werden von Markus empfangen, der uns anhand seines Fahrstils, seiner ausstrahlenden Sicherheit und dem gelassenen Umgang mit den Einheimischen schnell klar macht, dass er dazu gehört. Er trägt afrikanisches Herz in sich und hat das halbe Dorf zum Freund. Das Haus der Drotleffs kommt fast an europäische Verhältnisse ran. Es gibt Elektrizität und fließendes Wasser. Die ständigen Stromausfälle stören nicht, sondern schaffen einen nur noch klareren Sternenhimmel. Ebenso wenig wie die kalte Dusche am Morgen, die bloß die nötige Frische für die Hitze am Tag gibt. Ich genieße die Sonne und hole den in Deutschland nicht vorhandenen Sommer nach. Palmen und der Ausblick auf den Indischen Ozean geben dem Ganzen ein Gefühl von Urlaub. Dank des Sprachkurses bei Mama Lusuva führe ich sogar erste erfolgreiche Konversationen mit dem Nachtwächter, dem Gärtner, den Hunden und den kleinen Kids, die einem lächelnd zuwinken und auf „Mambo“ gekonnt „Poa“ antworten.
Gladiatorisch begebe ich mich Nacht für Nacht in das Kolosseum Moskitonetz und habe bereits einen wichtigen Kampf trotz fünffachen Stich eines einzigen Gegners gewonnen. Tod durch bloßen Handschlag – einer musste sterben.
Das eingemauerte Gelände der Drotleffs gibt einem das Gefühl von Sicherheit in einer von Kriminalität gefüllten Umgebung. Für einen kleinen Rundgang haben wir uns vor die Tore begeben und es ist nicht zu fassen, was man zu sehen bekommt. Wir laufen die Straße entlang, die in Deutschland nicht mal als Feldweg durchgehen würde und beobachten kleine Verkaufsstände in brüchigen Hütten, in denen sich die Leute hier ein wenig Geld verschaffen. Man fühlt sich von Blicken durchlöchert und ein wenig bedroht. Dabei will man so gerne unter ihnen sein, ihnen zuhören und sie verstehen, von ihnen lernen, mit ihnen lachen und ihre Gemeinschaft genießen, doch noch besteht diese Sprachbarriere und noch sind wir weiß. Unverständlicherweise scheinen sie irgendwie glücklich zu sein. Kinder laufen lachend die Straße entlang und spielen Fußball und Jugendliche singen und tanzen Swahili Lieder. Es tut so gut, Kindern zu begegnen, die einen lächelnd begrüßen. Sie geben eine Freude weiter, die ansteckt.
Am Wochenende feierten die Muslime aus der Gegend den Ramadan und der Strand war gefüllt mit Jugendlichen. Indischer Ozean rollt über meine Füße, wobei es diesmal nicht leicht fällt dem Meer das gewohnte Freiheitsgefühl zu entnehmen, da man mit seiner Hautfarbe einfach so sehr auffällt, als leichte Beute gesehen wird und man sich ein wenig bedroht fühlt. Philipp wird für ein Fotoshooting zur Seite genommen und Markus und ich fangen an den Fußball ein wenig rumzukicken. Innerhalb der nächsten zehn Minuten haben sich zwei Teams gebildet und es wird abenteuerlich Fußball gespielt. Es geht scheinbar nicht um Punkte, nicht um Sieg, sondern einzig und allein darum ein wenig Spaß zu haben. Keiner stört sich an dem anderen und jeder Angriff endet mit einer Landung in Sand und es fühlt sich gut an. Sport schafft Barrieren beiseite und vereint unabhängig von Sprache, Hautfarbe und Persönlichkeit. Wie dankbar man für so einen rollenden Ball doch sein kann.
Am Sonntag bekommen wir von Mama Lusuva eine kleine Einführung in die korrekte Fortbewegung mit einem Dala Dala. Eins ist sicher, diese Busse werden nie voll. Einer geht immer noch rein und angehalten wird sogar für Ziege und Huhn. Angekommen in Dar es Salaam schlägt sich ein Schaffner mit einigen Insassen vor dem Bus vor uns um das Fahrtgeld. Wir werden von Tabea und ihren Kids aufgeschnappt, die uns mit in den Gottesdienst nehmen. Alle Erwartungen bezüglich der afrikanischen Gottesdienste haben sich bestätigt. Der Chor bringt einen zum Tanzen, jedem Gast wird persönlich von allen Pastoren die Hand geschüttelt und der Prediger knackt die Dreistunden Marke. Ich hab die Zeit für einen kurzen Powernap genutzt, um nachher für das Gebet wieder topfit zu sein. Den Nachmittag haben wir am mit Palmen übersäten Goldstrand verbracht und in den ehemaligen Straßenjungs von Mama Tabea unsere ersten Freunde gefunden. Eine einfach wirklich geniale Truppe mit unglaublichen Lebensgeschichten. Auf dem Rücken im Indischen Ozean treibend, mit Blick auf den blauen Himmel, im heruntergekommenen Bus mit afrikanischer Musik den unglaublich schönen Sonnenuntergang bestaunend, bekomme ich das erste Mal tiefe, ehrliche Freude und realisiere langsam: Ich bin in Afrika!“. 

PS: Danke für das Buch. Es hat mich bis zu Tränen gerührt!