Samstag, 21. Juli 2012

Mein Gehen wird Kommen

Exit, 21.Jul 2012 Tanzania - der Stempel knallt in meinen Reisepass und unterzeichnet ein Jahr Abenteuer in Afrika, in einem Land meines Herzens, Tanzania. Zu schnell vorbei, es erscheint mir alles wie ein schnell verblassender Traum. Ich habe viel erlebt, habe lieben gelernt und bin verändert. Mein Geist schwebt noch durch die Lüfte und ich kann noch nicht fassen, dass ich es bin, der die Welt gesehen hat. Einen Teil dieser Welt, den man so ungerne anschaut und viel lieber schweigend, scheinbar gedankenverloren passiert. Doch ganz bewusst habe ich mich in das tiefe Tal begeben, vieles erblickt, mich in Gesprächen selbst herausgefordert und versucht zu verstehen, wofür ich kein Verständnis finde. Seelisch mitleidend habe ich mitgelebt. Ich fand Freude in Trauer, Frieden in Krieg, Liebe - so unverdient. Kultur, Gesellschaft, Mensch und wilde Natur sind mir eigen geworden. Wilde Welt findet Einklang mit wildem Herzen. Gefahr ist mein reizendes Spiel. Und so viele kleine, scheinbar unbedeutende Momente haben mein Leben gemacht, und mich selbst zu dem, der ich nun bin. Nun heißt es gehen, wahrhaben und kommen. Heimat ist gewachsen und ich habe drei Stunden um Frieden zu finden und mir klar zu machen, was ich erwarten darf, um nicht zu sterben und nicht zu töten. Fass dir ein Herz, ich werd es sonst nicht überstehen. Ich lege den Stift zur Seite, um ins Flugzeug zu steigen und um Zeit für Ruhe zu lassen.

Was erwarte ich und was und wer erwartet mich? Es ist alte, mir vertraute Welt, die auf mich zukommt, doch ich bin neu. Ich erwarte Pflichtgefühl und Tatendrang, hohen Lebensstandard, isoliertes Leben, Einsamkeit, Depression, inneren Unfrieden, doch nicht für mich. Ich breche hindurch mit Freude als meine Stärke, mit einem Gott an meiner Seite. Ich halte mich an ihn, in seiner Nähe, um inneren Frieden zu wahren und Herz zu beschützen. In einer Welt, die sich nicht für dich interessiert, will ich mich nicht verlieren. Mit Sitznachbarn im Flugzeug wird nicht geteilt, man erfährt für sich allein. Doch wo ist die Schönheit? Lass sie mich entdecken, lass mich Freude bei der Landung empfinden. Ein Jahr lang ist Liebe stark geblieben und Freunde und Familie haben sich nach diesem Tag gesehnt. Meine Schwester sprach von gerissenem Herzen, dass neu vereint wird, meine Freunde haben Freude bei dem Gedanken an meine Rückkehr. Sie sind bereit zu versuchen, mich zu verstehen., wollen mein Leben teilen. Gib mir richtige Worte und lass meine Erwartung nicht ihr Verständnis sein, lass mich erkennen, welch Schatz ich gewonnen habe, möge ich ihn nicht unbedacht verlieren, sondern Menschen zur rechten Zeit damit beistehen. Auch deutsche Welt wird nicht mehr die gleiche sein. Lass mich ein aufmerksamer Beobachter sein und verstehen, was in ihren Herzen vorgeht. Ich wurde ein Jahr lang von Afrika gebraucht, nun will ich gebraucht sein in Deutschland, in meiner Familie, unter meinen Freunden. Ich bin nix und sie sind mir Könige. Ein Diener darf nicht erwarten. Ich bin nun hier, hier will ich sein. Nun wird mein Gehen zu einem Kommen. Liebe möge mein Motiv sein.

Create in me a pure heart, o God and renew a steadfast spirit within me. Do not cast me from you presence or take your Holy Spirit from me. Restore to me the joy of your salvation and grant me a willing spirit, to sustain me. (Psalm 51,10-12)

Sonntag, 15. Juli 2012

Sansibar oder der letzte Grund

Sansibar oder der letzte Grund. Als Kind halte ich dieses Buch, in der Kriegszeit verfasst, in den Händen. Nie habe ich mich gefragt, wohin der Junge in diesem Buch fliehen will, um sich von sich tötender Gesellschaft zu retten. Viele Jahre später, heute, rette ich mich ein letztes Mal vor sich tötender Gesellschaft in Sansibar. Der Junge hoffte auf einen utopischen Ort mit besserer Zukunft, ich finde ein Leiden unter der islamischer Hand, wo etwa muslimische 90 Prozent christliche 10 Prozent vergewaltigen und ihre Kirchen in Brand stecken. Traurig, doch niemand flieht vor Leid auf dieser Welt. Sansibar, eine träumende Insel, in der sich die Menschen aus Menschenfurcht unter religiöse Riten beugen. Ich streife durch die Gassen ohne Ziel, nur der Weg zählt und ich fühle mich ebenso verloren. Die Gebäude befinden sich im romantischen Zerfall und sind durch Balken und Hölzer prekär restauriert. Die schön verzierten Türrahmen hauchen alt-omanische Sultanatszeit in diese arabisch, geprägte, muslimische Welt. Frauen und Mädchen sind tief verschleiert und meiden Blickkontakt. Ein zwanzig jähriger Vater sitzt mit seinem Sohn, den ich zuerst für seinen Bruder halte, vor seinem Hauseingang. Ich frage seinen vielleicht zwei Jahre alten Sohn nach seinem Namen und er darf stolz selbst antworten. Ein kleines Mädchen gesellt sich glücklich hinzu und spircht mit dem jungen Vater. Ich frage auch sie nach dem Namen, sie blickt schweigend betroffen weg und auch der Mann schaut zu Boden. Ein Angriff auf Kultur und Religion - ein kleines Mädchen spricht nicht mit weißem Fremden. In den Geschäften ist kein Bier erhältlich und diejenigen, die es auf Nachfrage doch besitzen, bitten einen in eine versteckte Ecke zu gehen. Das Verhalten und die Stadt sind stark von radikalem Islam geprägt und alles scheint darunter gebunden zu sein. Schamlos ziehen die weißen Touristen in hotpants und tiefen Ausschnitt durch die engen Gassen. So geschmacklos, ohne jegliches Kulturverständnis. Ich treffe auf eine glückliche Verkäuferin, Mama, Zuwena, die nichts für mich attraktives zu verkaufen hat, doch ihr Umgang mit mir ist echt und von vorbeiziehenden Männern vermutlich nicht gern gesehen. Ich kaufe ein T-shirt, das ich runter gehandelt habe, nachdem sie mir sagt, dass ich heute ihr erste Kunde bin, dann doch für zehn tausend. Wir sprechen gegenseitig Segen Gottes über unsere Leben aus und ich frage mich welcher Segen denn echt ist. Samstag abend sitze ich zu dieser Uhrzeit in Deutschland daheim und kann alles nicht fassen. Ich frage mich, wie die verschiedenen Begegnungen sein werden. Wer wird mich verstehen, mein Herz, wem darf ich mich anvertrauen? Oder soll ich mir schweigend diesen Schatz bewahren? Mögen meine Worte nicht versagen und ich nicht verstummen! Ich komme aus einer Welt, die in Problemen lebt in eine Welt, die an ihren Problemen stirbt. Noch fünf Tage, um mein Jahr abzurunden und ein stilles Herz zu bekommen. Ich fühle mich im "Nichts" verloren. Mein Herz hat noch nicht verstanden, dass ich gehe und kann sich noch nur schwer freuen auf das, was kommt. Ich bin ein Feigling! Ich bin ein verendender Jasager, der sich wie Knete von allem und jedem formen lässte und nie Gestalt annimmt. Solch schönes Bild hat diese Zeit aus mir geformt. Ich komme aus einjähriger Kur gesäubert in eine dreckige Welt, wo all das Gewonnene in die Wüste geschickt wird. Möge all meine Masse in Gottes Händen sein und durch Kultur, Begegnung und Freunde und Familie zu Seiner Herrlichkeit geformt werden. Diese Welt gibt nur so zeitliches Glück. Alles ist der Zeit unterworfen.Welch Freude, dass ich nicht bleiben muss, ich ziehe hindurch und bin nur Gast auf Erden. Ich rühme mich der Hoffnung auf zukünftige Herrlichkeit. Wer kann die Ungewissheit des Glaubens überwinden? True Love Remains!

Heimat wächst

Noch nie fiel mir Abschied so schwer. Lange habe ich über die Worte nachgedacht, die ich ihnen zuletzt mitgeben soll. Das Haus ist gefüllt mit Wazungu samt Nehemia Chef Pawel Sturz. Ich schiebe meine Rede weit hinaus aus Furcht, das meine Worte vor diesen stechenden Augen keinen Weg finden.Doch der Abend gilt mir und meinem Abschied. Pawel leitet ihn mit einer Rede ein, die mich meines Dienstes rühmt, den ich selbst nicht so hoch schätzen kann, wie er ihn beschreibt. Meine Demut ist angekratzt, doch er spricht von der Liebe zu den Geringsten, die keiner wahr nimmt, die der ganze Himmel bejubelt. Ich blicke in die Runde, den Kindern in die Augen und kann mein Herz nicht beruhigen, als mir klar wird, dass ich sie die letzten Momente sehend liebe. Tränen laufen mir die Wangen herunter, was ich nicht vor den vielen Blicken verbergen kann. Pawel's Rede endet mit einer väterlichen Umarmung, die ich in diesem Moment so nötig habe. Die Kids verbergen sich in den Zimmern, um ihr Schluchzen und Heulen nicht zu präsentieren. Ich gehe durch die Zimmer und finde ein Haus gefüllt mit Trauer. Ich versuche standfest zu bleiben und den ersten Schritt zu gehen und schnell eingeeiste Freude auftauen zu lassen. Ich versuche Trauer hinauszuschieben bis auf den nächsten Morgen, verdrücke mir alle Tränen und motiviere den letzten Abend tanzend zu beenden. Pilau beruhigt unsere Seelen und ich genieße ein letztes Abendessen am Tisch mit den Kids. Wir heitern uns mit lustigen Geschichten auf und ich genieße noch einmal ihr Lächeln, ihren liebevollen Blick. Nach tansanischer Tradition verfütter ich den für mich gebackenen Kuchen an Princess Maria und Upendo und werde selbst gefüttert zur Freude der auflachenden Kinder. Schweres Herz wird leicht, als wir unsere Arme und Beine dem Bongorythmus unterwerfen. Wir tanzen und ich genieße es ein letztes Mal und präsentiere die mir beigebrachten Tanzschritte ein letztes Mal. Ich nehme mir Biana nochmal zur Hand und führe den Tanz und lasse ihre Welt drehen. Tanzend drücke ich auch Upendo fest in den Arm und fliege durch den Raum. Viel Zeit vergeht schnell, wenn man genussvoll die Beine schwingt. Solarstrom versagt ein letztes Mal und unsere Akkubetriebene Box drönt ins Dunkel wahrend wir weiter tanzen. Für Frischluft gehe ich vor die Tür und betrachte schweigend nun so sehr vertrauten Sternenhimmel. Es wird Zeit für meine letzte Rede. Ich spreche Dank aus und lasse gute Zeiten nochmal verbal durchleben. Ich schließe mit der Ausgabe von vielen Briefen und einigen Hinterlassenschaften ab und Freude ringt sich nochmal durch. Unser Abend wird nochmal lang und Felista nimmt mich nochmal zur Seite und offentbart mir ihr Herz und vertraut mir ihre Trauer an. Ich will ihre Welt hier nicht veröffentlichen, doch ich bin gefüllt mit Zorn auf Menschen, die keinen Sinn für Leid haben. Über Mitternacht presse ich meine Hand mit Farbe um die im Wohnzimmer angemalte Welt und schreibe groß "Paulo" daneben. Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit mir die Farbe mit Klerosin und Seife auszuwaschen - erfolglos. Doch ich genieße die Gemeinschaft mit der so geliebten Neema, die meinem Leid beiwohnt. Ein letztes Mal begebe ich mich unters Moskitonetz und unter lauten Gedanken und rufendem Herzen finde ich Schlaf.
Früh machen wir uns zum Morgensport, geleitet von der neuen Volunteeren - ein letztes Fußballspiel. Unter Zeitdruck packe ich meine Tasche, das Kamerateam aus Deutschland nimmt die von mir in diese Welt gerufene Band unter Blitzlicht. Vor versammelter Menge stelle ich mich ein letztes Mal und nach langem Schweigen sage ich einen Satz, der von Tränen getragener Trauer unterbrochen wird. "Ich kann nicht glauben, dass ich euch jetzt verlasse". Noch einmal "Danke", "Ninawapenda", "Sitawasahau", "Nitawakumbuka". Schamlos heulend nehme ich jeden noch mal in meine Arme. Weinende Kinder winken mir zu, während ich auf der Ladefläche des Trucks verblasse. Die schöne Mwanaidi sieht mich vorbeiziehen und hält sich das Khanga vors Gesicht. Eine letzte Umarmung bleibt aus.
Ich nehme alles nochmal auf - die bestiegenen Berge, die mir bekannten "Dukas", die Pikipiki driver, die Bewohner Morogoros. Ich merke, dass ich wieder gehe. Ich verstehe, Heimat war nur in Blankenheim - ein Jahr lang habe ich in Tanzania geliebt, wurde geliebt und erkenne nun - Heimat wächst. Ich kam aus der Heimat in die Ferne und nun gehe ich aus der Heimat in die Heimat. Mein Herz ist zerrissen.

Montag, 2. Juli 2012

Mein Herz schreit

Es fällt mir nicht leicht zu gehen. Ich kann es nicht aufhalten, Zeit boxt sich in großen Schlägen durch den Alltag und meine Gedanken drehen sich um einen gelungenen Abschied. Ein Abschluss bei dem Frieden im Herzen und Freude, Leben und göttlicher Weitblick zurückbleiben.
Ich frage mich, was ich diesem Land gebracht habe und wieviel Sinn mein Dasein gehabt hat. So wenig habe ich getan und wo ist der Unterschied von dem, wer sie waren, wer sie nun sind?
Ich war einfach hier. Ich habe einfach gelebt wie sie, ihre Sprache gelernt, mit ihnen gegessen, ihr afrikanisches Spiel erlernt, barfuß Fußball über rote Erde gekickt, bis mir schwer loszuwerdende Hornhaut gewachsen ist und mich immer wieder selbst mit handwerklichen Arbeiten versucht.
Ich bin einfach eingetaucht und habe alles lieben gelernt. Ich habe sie lieben gelernt. So wie Heimat nur ein wüster Ort ist, wenn nicht Freunde und Familie ihn beleben, so ist Afrika auch nicht viel mehr als ein schöner Kontinent, wenn ich nicht Liebe teilen würde. Es haben sich Beziehungen gebildet, die mit Herz vernetzt sind und bald zu reißen drohen. Es fühlt sich so an, als würde ich sie im Stich lassen. Ein Jahr lang habe ich sie ihrer Liebe beraubt und reiße nun an ihrem Herzen und lasse ihr weinendes, fragendes Herz bluten. In Tränen schreibe ich und nicht weil es mir dort, wo ich hingehe schlechter gehen wird. Ich weine, weil 28 Kinder in seelischer Wüste ausgesetzt wurden, ihre Eltern als Hurer an Aids gestorben sind, sich dem Alkohol gebeugt haben oder sie schlicht weg ausgesetzt haben, weil sie sie nicht wollten. Nur selten habe ich sie nach ihrer Vergangenheit gefragt, weil ich nicht Mitleid teilen, sondern Freude schenken will. Ich sitze hier und denke an ihr Lachen, ihre Stimmlage, wenn sie reden, ihre verschiedenen Verhaltensmuster und dann ist da der Gedanke, dass sie keinen in der Familie haben, der ihnen sagt, dass er sie liebt. Jemand erzählt mir von Verwandten, die er nicht einmal mit Namen bennenen kann, geschweige denn, die er im letzten Jahr überhaupt mal zu Gesicht bekommen hat. Sie wurden von ihren Großmüttern ausgesetzt, die sie nicht versorgen können und sie anschließend nicht einmal besuchen kommen. Bei dem seltenen Auftauchen entsteht das Gefühl einen Fremden in dem Arm zu halten. Daniel hat sogar noch eine Mutter in Dar es Saalam, die er jedoch noch nie gesehen hat. "Warum ist sie noch nie hier gewesen?" frage ich ihn. Er schweigt, weil er keine Antwort hat.
Biana tanzt als wäre sie reich beschenkt in diesem Leben, sie teilt und achtet den Nächsten höher als sich selbst. Sie strahlt vor Freude und spricht liebevoll. Sie ist unglaublich hübsch und macht sich nichts daraus. Wie kann sie so eine Lebensfreude in sich tragen, wenn Vater und Mutter schon lange im Grab liegen. Oh, Gott, bewahre diese Kids vor dieser Geist tötenden, dreckigen Welt voll Leere, voll Tod. Weitere Lebensgeschichten gehen mir durch den Kopf, die ich nur schwer mit ihrer Lebensfreude vereinbaren kann. Sie wachsen in Gemeinschaft und Liebe auf und lernen das Miteinander-, Füreinanderleben. Ich versuche mich damit zu berühigen, dass Dada Tina ein großes Herz hat und liebt ohne Bedingung und Gott im Herzen trägt und seinem Ruf folgt. Hier habe ich lieben gelernt und gelebt, um zu lieben. Stets mit dem Versuch nicht für mich selbst zu leben und nicht meine eigenen Bedürfnisse suchend. Es geht um Gott und das Leben für ihn. Elf Tage bleiben mir an diesem Ort, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde. "Agape", ein Ort voller Liebe. In Sansibar versuche ich nochmal zu verarbeiten und dann kommt herausfordernde Rückkehr. Ich habe Angst vor altem Ich und mein Herz schreit, wenn ich mir bewusst mache, dass es bald zurück geht. Kann ich das erneut tragen? Ich bin mir selbst zu schwer! Ich habe hier eine Freiheit gefunden und ich habe Angst sie zu verlieren. Ich hasse mein altes, selbstsüchtiges Ich.