Samstag, 19. Mai 2012

Gestillte Reiselust (part 2)

Es ist schwer zu beschreiben, doch es hat etwas Herz reizendes sein Leben in eine Tasche zu packen und sich ohne großen Plan auf den Weg zu begeben. Von allen Sorgen, Pflichten und Erwartungen befreit, geht es um das, was du siehst und den Eindrücken und Gefühlen, die du dabei fühlst. Reisen lässt dich Weite dieser Welt verspüren, die das Herz weitet. Dabei wird die Welt immer kleiner und dein Herz größer mit jeder Lebensgeschichte, die dein Herz benetzt. Wenn die Grenzen der Weltsicht sich strecken, wird der mit Gott verbindende Faden immer dichter gezogen, wenn man erkennt, dass diese Welt sich nur dreht, weil Er der Mittelpunkt ist. Je ferner man sich auf diese Welt bewegt, stellt man fest, dass man nicht von dieser Welt ist. Ich lehne mich zurück in den Sitz des Überlandbusses, schließe meine Augen mit diesen Worten und genieße die befreiende Weite.

Morogoro Busbahnhof - NEEMA YA BWANA (Gnade des Herrn)

Nach einem gemütlichen Abend in Iringa, einer wirklich angenehmen Stadt, habe ich Mbeya erreicht. Die Stadt scheint mir ein wenig unsympathisch und alles ist irgendwie von einer erdrückenden, düsteren Atmosphäre getragen, unterstützt durch die Kälte und dichte Wolken. Das Hotel ist riesig und extrem heruntergekommen. Ich schlender durch die leicht belebte Stadt, esse im unscheinbaren Sombrerohotel unglaublich gutes Essen, schließe den Abend in einer dunklen Ecke auf der Terasse mit Bier und Kings of Leon im Ohr ab und freue mich auf Morgen.

Dismas und ich in den Udzungwa Mountains

Sanje Waterfalls

Afrikas Weite

Sanje Waterfalls

Mang'una
 Der Stadt entflohen sitze ich am Ngozikrater mit Blick über den etwa 2 km großen See, über dem graue Regenwolken sanft hinüberziehen. Mit grün bewachsene Steilhänge umschließen das Gewässer. Der Weg bis hierhin war beschwerlich, feucht, glitschig und lang und führte mich durch dichtes Buschwerk und einer atemberaubenden Vegetation. Durch Gebüsch schlagend, kriechend und über Bäume kletternd, bin ich nach einigen Stunden zu diesem verlassenen Ort gedrungen. Nur Vogelgezwitscher, das Summen einiger Fliegen und das Grillen irgendeines Insektes sind zu vernehmen. Nicht weit entfernt von mir hat irgendein Großtier mir durch lautes Gröllen einen Schrecken eingejagt. Für kurze Zeit war noch ein lautes Schreien des am Ufer lebenden, von mir weit entfernten Safwevolkes zu vernehmen. Ich bin völlig eingeschlossen von Wildnis. Die grauen Wolken drücken ein wenig und mir ist kalt, doch der Ausblick über Tansanias vielleicht schönstem Kratersee ist traumhaft. „Awake, my soul“ singt mir Mumford and Sons bei diesem Blick ins Ohr. Das Jagdmesser an meiner Hüfte gibt mir Sicherheit, auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, wie man es gescheit einsetzt, wenn denn wirklich Gefahr lauert. Doch ich stelle fest, dass mein Instinkt mich schnell danach greifen lässt. Der einzige Mann auf dem Weg, begegnet mir genau so geschockt, wie ich ihm und nach kurzem Begrüßen lass ich meine Hand vom Griff und er senkt seine Machete. Auf dem Rückweg treffe ich wieder auf den selben Mann, der sich Seil aus der Rinde abgeschlagener Äste für sein Haus herstellt. Er erklärt mir sein Handwerk kurz und ich frage ihn, ob ich ein Foto schießen darf. Völlig überzeugt lehnt er ab und erklärt mir auf Nachfrage, dass er Angst hat. Dieses Blitzgerät muss von Geistern befallen sein. Bevor ich gehen will, bettelt er nach Geld für ein Soda. Ich frage, ob er sich für Geld ablichten lassen würde, um zu schauen, wie ernst er es meint. Doch kein Geld nimmt ihm die Angst vor den Geistern, die ihn nach einem Foto befallen und ich schlender mit meinem Wanderstock davon und kämpfe mich per Anhalter bis zur Hauptstraße.

Isimilia Stone Henge

Mountains and Me

„Welches ist das ärmste Land der Welt?“ Ich sitze im Bus, während eine Radiosendung für Kinder mit Fragen zur Allgemeinbildung, im Radio läuft. Überzeugt antwortet ein kleines Mädchen: „Amerika!“ und erntet Gelächter der Moderatorin und der Insassen im Bus. Auch ich lache über diesen groben Fehler, bis ich verstehe welch große, traurige Wahrheit dieses kleine Mädchen doch unbewusst ausgesprochen hat - so arm, kann man bei großem Reichtum doch sein und so reich bei schwerer Armut. Eine erwachsene Frau, mit Kleinkind, fordert beim Aussteigen ihr Rückgeld von 200 Shilling (etwa 10 Cent) und fängt eine Diskussion mit dem Kondakter an, der überzeugt das Geld für das Kleinkind berechnet. Verbal steigern sie sich hinein, bis sie handgreiflich wird und sie sich aggressiv um 10 Cent schlagen. Wir fahren zur nächsten Polizeistation, wo ich den Bus wechsel, um meinen Anschluss nicht zu verpassen.

Farmer

Iringa Busbahnhof

In den Regenwäldern zum Ngozi Kratersee

Ngozi Kratersee

In the dschungle the lion sleeps tonight.
 Nach zwei Stunden Warten auf den Bus, zwei Stunden im Bus, geht es endlich Richtung Lake Nyasa. Der Antikwert des Busses übersteigt alles zuvor Gesehene und das Geklapper, lässt dich deine eigene Stimme nicht mehr hören. Dass wir auf halber Strecke mit Reifenpanne landen, überrascht mich kein bisschen. Mbeya’s dunkle Atmosphäre hing noch an mir und die Fahrt reißt an meinen Nerven - Sitznachbarn sind unsympatisch, Ipod leer und dann dieses ständige Warten auf jedes Huhn. Ich hoffe nur auf die Ankunft und eine Landschaft, die mir die Freude wieder gibt. Doch Gott sei Dank, werden die Insassen im Laufe der Fahrt ausgetauscht und bald habe ich einen christlichen Chor an Bord, die mir mit ihrem Gesang das Herz weich machen. Die Menschen haben etwas Freundliches und Zuvorkommendes an sich. Der Sonnenuntergang und die aufragenden Livingstonmountains in der Ferne geben mir mein Lächeln zurück. Nach langer, beschwerlicher Fahrt, schönem Chorgesang und ein paar neu gelernten Wörtern in der Stammessprache bin ich in Matema, im Süden des Landes am Lake Nyasa. Mein Herz hüpft bei dem Anblick und dem perfektem Zusammenspiel von Berg, See, Sonne, Strand, Wolken und Mensch. Ich habe ein Bungalow direkt am Strand und mir ist nach Bleiben. Die Hotelmitarbeiter werden mir schnell zu Freunden und ich teile mein Glück mit ihnen bei gemeinsamen Essen und gemeinsamer Wandertour zu einem weiteren unglaublich schönem, verstecktem Wasserfall.

Matema

Fischer

Geteiltes Glück am fallenden Wasser

...
 „Macht die Anker los!“ Lautes Geschrei am Hafen in Südafrika. Die Herzen der Expeditionsbeteiligten klopfen schneller und das Schiff bricht seinen Weg an, in den Norden des Kontinentes. Dem Strom entlang vergehen unzählige Tage. Es ist die Suche nach Festland, nach dem Ort deiner Selbst. Sambia ist passiert und sie treten in das große Gewässer des Lake Nyasa. 500 km fahren sie über den 50 km breiten See, bis sie die nördliche Küste erreichen. 1891 entscheiden sie, dass Matema der Ort des Missionsursprungs sein soll. Pläne werden entworfen und eine Kirche wird bis zum Jahre 1896 fertig gestellt. Im Zusammenspiel mit sozialen, ärztlichen Dienst, getragen von Liebe, wird das Gebiet mit Christentum besprengt und man spricht bis heute von Matema als dem ersten Missionsort Tansanias. Das alte Gebäude läuft immer noch unter gleicher Mission und bietet mir heute Unterschlupf am atemberaubenden See. 121 Jahre nach Ankunft erster Missionare, die noch mit Stammeshäuptlingen verhandelten, scheint mir alles noch so unberührt. Die Missionierung hat zwar ihre Früchte getragen und die Menschen sind weitestgehend christlich geprägt, doch so unentdeckt scheint mir diese Traumlandschaft. Die Stadt, direkt an den Bergen, die nach dem Missionaren und Entdecker Livingston benannt wurden, ist eingebettet in fruchtbarer Landschaft mit Bananenstauden, Mangobäumen und Kakaopflanzen. Für einen klaren Kopf laufe ich dem Strand entlang. Ich treffe nur auf ein paar Fischer, die traditionell mit Kanu und Netz ihr Abendbrot verdienen. Ansonsten scheint diese Küste so unberührt, wie sie die Missionare vor über hundert Jahren vorgefunden haben. Der Strand ist mit Bambushölzern übersät, mit Grüngewächs am Rand. Nur drei Hotels haben sich an der gesamten Küste durchgesetzt. Ich laufe bis ich eine Flussmündung erkenne. Mein Instinkt schaltet auf Gefahrenwitterung und ich male mir aus wie Krokodil und Nilpferd in der Dunkelheit des vom See aufgebrausten Zuflusses lauern. Vorsichtig und umblickend nähere ich mich mit bedachten Schritten dem Flussufer, um einen Blick hinauf zu gewinnen. Die Sonne zieht gerade am Ende des Flusses ihre letzte Bahn und malt die Wolken und Himmel schön rot an. Ich bin noch immer gespannt und genieße es, diesen Blick als einziger Tourist zu bewundern. Nach einigen Minuten bemerke ich sie. Langsam und vorsichtig nähert sie sich mir, in afrikanischer, traditioneller Kleidung, trägt sie ein eingewickeltes Gepäckstück auf dem Kopf sicher bis zum Ufer und legt es in den Sand. „Habari za leo?“ Wie ist dein Tag? versuche ich ihr die Furcht zu nehmen. „Nzuri“ antwortet sie überrascht von meinem sicheren Kiswahili. Ich stelle weitere Fragen über Herkunft und Zielrichtung, um ihr letzte Besorgnis zu nehmen. Was hat ein Weißer zur Dämmerungszeit an einer verlassenen Flussmündung zu suchen? „Gibt es Krokodile und Nilpferde hier am Flussufer?“ frage ich sie. „Ja, hast du keine Angst?“ „Solange sie mir nicht in die Nähe treten und sich mir nicht zeigen, noch nicht. Fürchtest du sie denn?“ „Selbstverständlich. Habt ihr Weißen denn keine Angst?“ „Man fürchtet nicht, was es bei uns nicht gibt.“ Der Fluss ist an dieser Stelle nur etwa fünf Meter breit, doch ihre Reise ist hier erstmals beendet. „Faraja“ nennt sie mir ihren Namen. Ihr Blick ist unschuldig und ihr Lächeln verlegen. Immer wieder greift sie tief, wenn sie mir in die Augen blickt. Da sie die Schule gerade erst beendet hat, wird sie nur ein wenig jünger sein als ich. Ihre Mama erreicht nach einiger Zeit dasselbe Ufer und ich spreche mein Beileid als, nachdem sie mir verdeutlicht haben, dass sie gerade von der Beerdigung ihres Opas kommen und schon seit zwei Stunden am Strand entlang traben. Wenn der Fluss überwunden ist folgen weitere Stunden. „Wie kommt ihr über den Fluss?“ frage ich die hübsche Faraja, die sicherlich nicht schwimmen kann. „Wir warten bis ein Boot uns hinüberfährt.“ „Wann soll dieses Boot hier ankommen?“ „Vielleicht gar nicht.“ Bei Letzterem bleiben sie auf dieser Seite des Flusses und schlafen bei Fremden. Mein scherzhaftes Angebot sie über den Fluss zu tragen, da ich ein recht guter Schwimmer bin, lehnen sie belustigend ab. Ihre Mama spricht ihre Bewunderung über mein Kiswahili aus und sagt einige Sätze zu ihrer Tochter Faraja in ihrer Stammessprache. Faraja blickt mir tief in die Augen und meint: „Komm mit zu uns und schau dir an, wie wir leben.“ Mit dem Bewusstsein, dass sie große Hoffnung auf Wohlstandsleben in weiße Hautfarbe setzen, lehne ich ihr Angebot ab und mache mir klar, dass sie mir mit leichtem Akt zur Frau gegeben werden könnte. Nun warten wir an diesem mysteriösen Fluss. Nach einer halben Stunde trifft tatsächlich jemand ein. Faraja und ihre Mutter besteigen das Boot und ich drücke sie in den Fluss. Sie setzen über und Faraja gibt mir ihren letzten Blick mit leichtem Lächeln.

Ich laufe den langen Weg in der Dunkelheit zurück und wundere mich wie sehr diese Welt von Mysterien getragen ist. Ich unterhalte mich mit eintreffenden Fischern über ihren heutigen Fang und spüre innere Freude, die mir durch diesen unberührten Ort bereitet wird. Es fühlt sich so an, als gehöre diese Welt mir alleine und als wäre ich ihr erster Entdecker. Ich bade mir kurz den Schweiß im See aus und trete in das vor 120 Jahren errichtete Hotel. Ich genieße die Gemeinschaft der neugewonnen Freunde, esse traditionell Ugali auf Mkekateppich unter Öllampenlicht, während wir herzhaft lachen und scherzen. Meine zwei Bier mit Radio Ipod unter Sternenhimmel geben dem Tag den letzten, schönen Hauch.

Ich beginne den Tag mit einem Lauf am Strand in der aufgehenden Sonne. Ich unterhalte mich mit dem Fischer, der mir sein Handwerk erklärt. Jeden Tag verbringt er die Morgenstunden damit, sein Netz aufzuwickeln und den Rest des Tages in der weiten See. Jedes Jahr in der Zeit von Dezember bis Juli, verdient er sich sein Geld mit den gefangenen, verkauften Fischen. Sein Leben lang ist er Fischer und sein Leben lang wird er einer sein. Ich laufe am Strand entlang und treffe auf Väter mit Söhnen, die sich für die weite See vorbereiten. Ich grüße sie mit „Ogunire“ in ihrer Stammessprache.
Ein Handwerk, das über tausenden von Jahren besteht und damals genau so ausgeführt wurde wie heute. Die Väter der Männer waren Fischen, ihre Söhne werden Fischer sein. Vor etwa zwei Tausend Jahren läuft ein Mann, ein Gott, so wie ich am Ufer entlang und trifft auf solche Fischer. „Kommt her, folgt mir nach. Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“ Welch Kraft müssen diese Worte gehabt haben und welch festen Ausdruck sein Blick, dass diese zwei Männer alles liegen lassen haben, ihre Familie und ihr eigenes Handwerk zurück gelassen haben und diesem Unbekannten, Fremden, dessen Namen sie nicht einmal kannten, bei so wenigen Worten, gefolgt sind. Er hatte etwas Tiefes, etwas Höheres in sich, etwas, dass ihre Herzen berührt hat und sie ihr ganzes Leben hingeben lassen hat. Zu zwölft sind sie nicht von seiner Seite gewichen, schauen ihm beim Reden zu, beim Heilen, beim Leben, bis zu seiner tödlichen Erniedrigung. Zwölf junge, ungebildete Männer, von denen einer seinen Verrat an diesem Mann nicht ertragen konnte und sich selbst den Tod gab, ziehen sie um die Welt und wie ein Lauffeuer fangen die Menschen in aller Welt an zu verstehen, dass dieser gekreuzigte Mann ein auferstandener Gott ist. 1891 erreicht eine Expeditionstruppe das Ufer, an dem ich entlang laufe, mit derselben Botschaft und 2012 trage ich diese Botschaft am selben Ufer mit mir herum. 
Ich bin erneut bis zu dem Fluss gelaufen und treffe auf eine Frau mit Baby, die gerade von einem Fischer übergesetzt wird. „Guten Morgen“ grüße ich sie, als sie auf meiner Seite angekommen ist. Erschöpft und verschwitzt von Laufen, frage ich sie wie lange sie auf der anderen Seite gewartet hat. „Seit gestern Abend“ antwortet sie mir und lässt mich sprachlos stehen und geht ihres Weges. Fünf Meter dunkles, tieferes Mündungsgewässer, in der jegliche Legenden hineingesteckt wurden von fressenden Krokodilen und reißenden Nilpferden und Geistern, die einen hinunterziehen, machen den Bewohnern so große Angst. Ich werfe einen Blick auf das andere Ufer und will die Legende nicht auf die Probe stellen. Ich gehe langsam, in Gedanken versunken, zurück, an den Fischern vorbei, die seit tausend Jahren ihre Netze auswerfen.

Fischer

Traum
 Zum Abschluss meiner Reise ertrage ich etwa 20 Stunden Rückreise auf der letzten Sitzbank eines engen, alten Busses. Meine Sitznachbarn sind ein sambisches, junges Ehepaar, die kein Kiswahili sprechen, dafür aber fließend Englisch. Wir führen wirklich interessante und prägende Unterhaltung über Gott und die Welt und ich gewinne zwei wirklich nette Menschen zu Freunden und habe ein Schlafplatz in Sambia sicher. Ein verkehrtes Bild, wenn der Mzungu zwei umherirrenden Afrikanern mit der Sprache zur Hand gehen muss. Um zwei Uhr in der Nacht treffe ich Zuhause ein und verdaue alles Erlebte in einem langen Schlaf, bis in den Mittag hinein. Nach gestillter Reiselust, bin ich bereit für die letzten knappen zwei Monate in meiner afrikanischen Heimat.

Happiness is real when shared.












Donnerstag, 10. Mai 2012

Gestillte Reiselust (part 1)

Es ist nach langer Zeit einfach mal ruhig. Ich schreibe im Tischlampenlicht in einem gemuelichen Hotelzimmer in Iringa. Heute wird endlich wieder warm geduscht.
Je naeher der Tag der Abreise rueckt, umso groesser wurde in mir das Verlangen nochmal durch das Land zu ziehen und meine Reiselust zu stillen.
Meine Reise beginnt in Morogoro. Auf engem Raum im zerschlissenen, verdreckten Bus warte ich auf die erloesende Abfahrt. Seit zwei Stunden lauft der Motor und der Bus will nicht losfahren, bis nicht die letzten zwei Sitzplaetze noch belegt sind. Strassenverkaeufer laufen staendig am Fenster vorbei und rufen "Mikate, Mayai" und "Viatu" und versuchen ihre Ware fuer ein paar Shilling loszuwerden. Die Sonne, die immer wieder durch die Wolken bricht, macht mir den Sitzplatz am Fenster unertraeglich. Die anderen Insassen unterhalten sich in einer mir unbekannten Stammessprache. Der nach schweissriechende, laute Vordermann wird fuer sein schlechtes Kiswahili von den Strassenverkaeufern ausgelacht, die er staendig nach den Preisen fragt, aber doch nichts kauft, weil ihm alles zu teuer ist. Aus einer Unterhaltung hoere ich heraus, dass er mit seinen geschaetzten 30 Jahren noch nie Cashewnuesse und Sodagetraenke gesehen hat. Er ist nie zur Schule gegangen und voellig weltfern lebt er in einem abgelegenem Dorf. Ich sitze hier mit meinen 13 Jahren Schule auf dem Buckel und fast 200000 Shilling in der Royal Travellers Bauchtasche und ich frage mich wer das Leben so ungerecht verteilt hat. So reich bin ich in dieser Welt.
Der Bus faehrt an und ich kehre den Ulugurumountains den Ruecken zu. Wir betreten den Mikuminationalpark und passieren Bueffelherden, Gazellen und Elefanten, die man von der Hauptsstrasse aus beobachten kann. Letztere leben hier frei auf engem Raum zu etwa 9000. Von Mikumi geht es ueber unbefestigte Strasse Richtung Udzungwa Mountains. Wunderschoene Berge erheben sich rechts und die hoehere Lage macht sich durch die Kaelte bemerkbar. Ich mache mir meinen Sitznachbarn Dismas zum Freund und er stellt mir sein Motorrad fuer den naechsten Tag zur Verfuegung. Mit ueberteuerten Tourguide und Genehmigung ziehen wir am naechsten Morgen mit festgeschnuerten Wanderschuhen in die Bergregenwaelder. Es geht durch dichtes Gebuesch in eine einmalige Vegetation. Immer wieder springen Affen ueber unseren Koepfen her und haufenweise Elefantenkacke ist ueber dem Weg verstreut. Ich trete in die riesen Elefantenfussstapfen und wir steigen immer hoeher. Spinnennetze kleben sich ins Gesicht, bis wir nach etwa drei Stunden Fussmarsch den ersten der drei Sanje Waterfalls erreichen. Voellig sprachlos bin ich bei dem letzten, groessten Wasserfall, der 170 Meter ueber Kaskaden in die Tiefe faellt und ein wunderschoenes Panorama zaubert. Immer wieder bin ich fasziniert von der verborgenen Schoenheit dieser Welt und ich bewundere Gottes Kuenstlerhaende. Nach langer Reise gibt es mit Hunger gewuerztes Ugali mit Dismas Familie. Ich beende meinen Tag mit einm kuehlen Bier, dem Chelsea vs Liverpool Spiel und der Tragoedie der Maria Stuart.
Morgens verzoegert sich meine Abreise, da es kein Wasser im Hotel gibt. Ein paradoxes Bild - gestern bewundere ich gewaltige Wassermassen, die maechtig in die Tiefe stuerzen und heute morgen hoffe ich auf ein paar Tropfen Wasser aus dem Hahn. Der betrunkene, ehemalige Tanesco-Mitarbeiter belaestigt mich auf dem Weg zum Bus. Den Umstehenden bereiten wir eine oeffentliche Entertainmentshow waehrend Mzungu mit Betrunkenem Wortgefecht haelt. Es gibt mir Mut, wenn es mir gelingt mich rednerisch auf Kiswahili zu behaupten. Ich geniesse den warmherzigen Menschenumgang in den Doerfern. Meine Reise fuehrt mich, dem Rift Valley entlang, in wunderschoene Berglandschaft. Mein Sitznachbar ist Evangelist und wir fuehren spannende Unterhaltung ueber die Korruption des Landes und ueber sein Leben, ein Kampf um Wasser. Im Inneren des Landes gibt es nur eine miserable Wasserversorgung. Etwa fuenf mal die Woche faehrt er die fuenf Kilometer mit dem Fahrrad zum Wasserbrunnen, um 20 Liter Wasser zu transportieren. An die 100 Liter Wasser verbraucht seine dreikoepfige Familie in der Woche. Die Regierung hat hier ein grosses Wasserwerk errichtet, wovon die Menschen aus der Umgebung kein bisschen profetieren. Hinzu kommt, dass das wenige Wasser oft voellig verdreckt ist und chemieverseucht, da die umliegenden Bauern ihre Tomaten schneller verkaufen wollen. Somit werden Typhus und andere Krankheiten zum zusaetzlichen Problem.
Nun bin ich in Iringa angekommen, wo alle in Pullover oder Jacke rumlaufen und Socken tragen. Die Temperatur erinnert mich an kuehle Sommerabende in Deutschland und die Atmosphaere und der Umgang der Menschen hat etwas Besonderes. Es fuehlt sich nach einer mit Studenten gefuellten Kulturstadt an, wo ein Weisser gar nicht auffaelt. Viele sind modisch gekleidet und scheinen Bildung genossen zu haben. Ich trinke meine zwei Bier, esse Burger und geniesse die Ruhe und das Alleinesein bei schoenem Sonnenuntergang ueber Iringas Blechdaechern. Es ist schoen individuell zu reisen und ich fuehle mich frei.
Morgen geht meine Reise weiter nach Mbeya. Tanzania ist schoen und weit.