Es ist schwer zu beschreiben, doch es hat etwas Herz
reizendes sein Leben in eine Tasche zu packen und sich ohne großen Plan auf den
Weg zu begeben. Von allen Sorgen, Pflichten und Erwartungen befreit, geht es um
das, was du siehst und den Eindrücken und Gefühlen, die du dabei fühlst. Reisen
lässt dich Weite dieser Welt verspüren, die das Herz weitet. Dabei wird die
Welt immer kleiner und dein Herz größer mit jeder Lebensgeschichte, die dein
Herz benetzt. Wenn die Grenzen der Weltsicht sich strecken, wird der mit Gott
verbindende Faden immer dichter gezogen, wenn man erkennt, dass diese Welt sich
nur dreht, weil Er der Mittelpunkt ist. Je ferner man sich auf diese Welt
bewegt, stellt man fest, dass man nicht von dieser Welt ist. Ich lehne mich
zurück in den Sitz des Überlandbusses, schließe meine Augen mit diesen Worten
und genieße die befreiende Weite.
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Morogoro Busbahnhof - NEEMA YA BWANA (Gnade des Herrn) |
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Nach einem gemütlichen Abend in Iringa, einer wirklich
angenehmen Stadt, habe ich Mbeya erreicht. Die Stadt scheint mir ein wenig
unsympathisch und alles ist irgendwie von einer erdrückenden, düsteren
Atmosphäre getragen, unterstützt durch die Kälte und dichte Wolken. Das Hotel
ist riesig und extrem heruntergekommen. Ich schlender durch die leicht belebte
Stadt, esse im unscheinbaren Sombrerohotel unglaublich gutes Essen, schließe
den Abend in einer dunklen Ecke auf der Terasse mit Bier und Kings of Leon im
Ohr ab und freue mich auf Morgen.
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Dismas und ich in den Udzungwa Mountains |
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Sanje Waterfalls |
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Afrikas Weite |
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Sanje Waterfalls |
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Mang'una |
Der Stadt entflohen sitze ich am Ngozikrater mit Blick über
den etwa 2 km großen See, über dem graue Regenwolken sanft hinüberziehen. Mit
grün bewachsene Steilhänge umschließen das Gewässer. Der Weg bis hierhin war
beschwerlich, feucht, glitschig und lang und führte mich durch dichtes
Buschwerk und einer atemberaubenden Vegetation. Durch Gebüsch schlagend,
kriechend und über Bäume kletternd, bin ich nach einigen Stunden zu diesem verlassenen Ort
gedrungen. Nur Vogelgezwitscher, das Summen einiger Fliegen und das Grillen
irgendeines Insektes sind zu vernehmen. Nicht weit entfernt von mir hat
irgendein Großtier mir durch lautes Gröllen einen Schrecken eingejagt. Für
kurze Zeit war noch ein lautes Schreien des am Ufer lebenden, von mir weit
entfernten Safwevolkes zu vernehmen. Ich bin völlig eingeschlossen von Wildnis.
Die grauen Wolken drücken ein wenig und mir ist kalt, doch der Ausblick über
Tansanias vielleicht schönstem Kratersee ist traumhaft. „Awake, my soul“ singt
mir Mumford and Sons bei diesem Blick ins Ohr. Das Jagdmesser an meiner Hüfte
gibt mir Sicherheit, auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, wie man es
gescheit einsetzt, wenn denn wirklich Gefahr lauert. Doch ich stelle fest, dass
mein Instinkt mich schnell danach greifen lässt. Der einzige Mann auf dem Weg,
begegnet mir genau so geschockt, wie ich ihm und nach kurzem Begrüßen lass ich
meine Hand vom Griff und er senkt seine Machete. Auf dem Rückweg treffe ich
wieder auf den selben Mann, der sich Seil aus der Rinde abgeschlagener Äste für
sein Haus herstellt. Er erklärt mir sein Handwerk kurz und ich frage ihn, ob
ich ein Foto schießen darf. Völlig überzeugt lehnt er ab und erklärt mir auf
Nachfrage, dass er Angst hat. Dieses Blitzgerät muss von Geistern befallen
sein. Bevor ich gehen will, bettelt er nach Geld für ein Soda. Ich frage, ob er
sich für Geld ablichten lassen würde, um zu schauen, wie ernst er es meint.
Doch kein Geld nimmt ihm die Angst vor den Geistern, die ihn nach einem Foto
befallen und ich schlender mit meinem Wanderstock davon und kämpfe mich per
Anhalter bis zur Hauptstraße.
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Isimilia Stone Henge |
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Mountains and Me |
„Welches ist das ärmste Land der Welt?“ Ich
sitze im Bus,
während eine Radiosendung für Kinder mit Fragen zur Allgemeinbildung, im
Radio
läuft. Überzeugt antwortet ein kleines Mädchen: „Amerika!“ und erntet
Gelächter
der Moderatorin und der Insassen im Bus. Auch ich lache über diesen
groben Fehler,
bis ich verstehe welch große, traurige Wahrheit dieses kleine Mädchen
doch unbewusst
ausgesprochen hat - so arm, kann man bei großem Reichtum doch sein und
so reich
bei schwerer Armut. Eine erwachsene Frau, mit Kleinkind, fordert beim
Aussteigen ihr Rückgeld von 200 Shilling (etwa 10 Cent) und fängt eine
Diskussion mit dem Kondakter an, der überzeugt das Geld für das
Kleinkind berechnet. Verbal steigern sie sich hinein, bis sie
handgreiflich wird und sie sich aggressiv um 10 Cent schlagen. Wir
fahren zur nächsten Polizeistation, wo ich den Bus wechsel, um meinen
Anschluss nicht zu verpassen.
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Farmer |
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Iringa Busbahnhof |
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In den Regenwäldern zum Ngozi Kratersee |
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Ngozi Kratersee |
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In the dschungle the lion sleeps tonight. |
Nach zwei Stunden Warten auf den Bus, zwei Stunden im Bus,
geht es endlich Richtung Lake Nyasa. Der Antikwert des Busses übersteigt alles
zuvor Gesehene und das Geklapper, lässt dich deine eigene Stimme nicht mehr
hören. Dass wir auf halber Strecke mit Reifenpanne landen, überrascht mich kein
bisschen. Mbeya’s dunkle Atmosphäre hing noch an mir und die Fahrt reißt an
meinen Nerven - Sitznachbarn sind unsympatisch, Ipod leer und dann dieses
ständige Warten auf jedes Huhn. Ich hoffe nur auf die Ankunft und eine
Landschaft, die mir die Freude wieder gibt. Doch Gott sei Dank, werden die
Insassen im Laufe der Fahrt ausgetauscht und bald habe ich einen christlichen
Chor an Bord, die mir mit ihrem Gesang das Herz weich machen. Die Menschen
haben etwas Freundliches und Zuvorkommendes an sich. Der Sonnenuntergang und
die aufragenden Livingstonmountains in der Ferne geben mir mein Lächeln zurück.
Nach langer, beschwerlicher Fahrt, schönem Chorgesang und ein paar neu
gelernten Wörtern in der Stammessprache bin ich in Matema, im Süden des Landes
am Lake Nyasa. Mein Herz hüpft bei dem Anblick und dem perfektem Zusammenspiel
von Berg, See, Sonne, Strand, Wolken und Mensch. Ich habe ein Bungalow direkt
am Strand und mir ist nach Bleiben. Die Hotelmitarbeiter werden mir schnell zu
Freunden und ich teile mein Glück mit ihnen bei gemeinsamen Essen und
gemeinsamer Wandertour zu einem weiteren unglaublich schönem, verstecktem
Wasserfall.
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Matema |
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Fischer |
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Geteiltes Glück am fallenden Wasser |
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... |
„Macht die Anker los!“ Lautes Geschrei am Hafen in
Südafrika. Die Herzen der Expeditionsbeteiligten klopfen schneller und das
Schiff bricht seinen Weg an, in den Norden des Kontinentes. Dem Strom entlang
vergehen unzählige Tage. Es ist die Suche nach Festland, nach dem Ort deiner
Selbst. Sambia ist passiert und sie treten in das große Gewässer des Lake
Nyasa. 500 km fahren sie über den 50 km breiten See, bis sie die nördliche
Küste erreichen. 1891 entscheiden sie, dass Matema der Ort des
Missionsursprungs sein soll. Pläne werden entworfen und eine Kirche wird bis
zum Jahre 1896 fertig gestellt. Im Zusammenspiel mit sozialen, ärztlichen Dienst,
getragen von Liebe, wird das Gebiet mit Christentum besprengt und man spricht
bis heute von Matema als dem ersten Missionsort Tansanias. Das alte Gebäude
läuft immer noch unter gleicher Mission und bietet mir heute Unterschlupf am
atemberaubenden See. 121 Jahre nach Ankunft erster Missionare, die noch mit
Stammeshäuptlingen verhandelten, scheint mir alles noch so unberührt. Die
Missionierung hat zwar ihre Früchte getragen und die Menschen sind
weitestgehend christlich geprägt, doch so unentdeckt scheint mir diese
Traumlandschaft. Die Stadt, direkt an den Bergen, die nach dem Missionaren und
Entdecker Livingston benannt wurden, ist eingebettet in fruchtbarer Landschaft
mit Bananenstauden, Mangobäumen und Kakaopflanzen. Für einen klaren Kopf laufe
ich dem Strand entlang. Ich treffe nur auf ein paar Fischer, die traditionell
mit Kanu und Netz ihr Abendbrot verdienen. Ansonsten scheint diese Küste so
unberührt, wie sie die Missionare vor über hundert Jahren vorgefunden haben.
Der Strand ist mit Bambushölzern übersät, mit Grüngewächs am Rand. Nur drei
Hotels haben sich an der gesamten Küste durchgesetzt. Ich laufe bis ich eine
Flussmündung erkenne. Mein Instinkt schaltet auf Gefahrenwitterung und ich male
mir aus wie Krokodil und Nilpferd in der Dunkelheit des vom See aufgebrausten
Zuflusses lauern. Vorsichtig und umblickend nähere ich mich mit bedachten
Schritten dem Flussufer, um einen Blick hinauf zu gewinnen. Die Sonne zieht
gerade am Ende des Flusses ihre letzte Bahn und malt die Wolken und Himmel
schön rot an. Ich bin noch immer gespannt und genieße es, diesen Blick als
einziger Tourist zu bewundern. Nach einigen Minuten bemerke ich sie. Langsam
und vorsichtig nähert sie sich mir, in afrikanischer, traditioneller Kleidung,
trägt sie ein eingewickeltes Gepäckstück auf dem Kopf sicher bis zum Ufer und
legt es in den Sand. „Habari za leo?“ Wie ist dein Tag? versuche ich ihr die
Furcht zu nehmen. „Nzuri“ antwortet sie überrascht von meinem sicheren
Kiswahili. Ich stelle weitere Fragen über Herkunft und Zielrichtung, um ihr
letzte Besorgnis zu nehmen. Was hat ein Weißer zur Dämmerungszeit an einer
verlassenen Flussmündung zu suchen? „Gibt es Krokodile und Nilpferde hier am
Flussufer?“ frage ich sie. „Ja, hast du keine Angst?“ „Solange sie mir nicht in
die Nähe treten und sich mir nicht zeigen, noch nicht. Fürchtest du sie denn?“
„Selbstverständlich. Habt ihr Weißen denn keine Angst?“ „Man fürchtet nicht,
was es bei uns nicht gibt.“ Der Fluss ist an dieser Stelle nur etwa fünf Meter
breit, doch ihre Reise ist hier erstmals beendet. „Faraja“ nennt sie mir ihren
Namen. Ihr Blick ist unschuldig und ihr Lächeln verlegen. Immer wieder greift
sie tief, wenn sie mir in die Augen blickt. Da sie die Schule gerade erst
beendet hat, wird sie nur ein wenig jünger sein als ich. Ihre Mama erreicht
nach einiger Zeit dasselbe Ufer und ich spreche mein Beileid als, nachdem sie
mir verdeutlicht haben, dass sie gerade von der Beerdigung ihres Opas kommen
und schon seit zwei Stunden am Strand entlang traben. Wenn der Fluss überwunden
ist folgen weitere Stunden. „Wie kommt ihr über den Fluss?“ frage ich die
hübsche Faraja, die sicherlich nicht schwimmen kann. „Wir warten bis ein Boot
uns hinüberfährt.“ „Wann soll dieses Boot hier ankommen?“ „Vielleicht gar
nicht.“ Bei Letzterem bleiben sie auf dieser Seite des Flusses und schlafen bei
Fremden. Mein scherzhaftes Angebot sie über den Fluss zu tragen, da ich ein
recht guter Schwimmer bin, lehnen sie belustigend ab. Ihre Mama spricht ihre
Bewunderung über mein Kiswahili aus und sagt einige Sätze zu ihrer Tochter Faraja
in ihrer Stammessprache. Faraja blickt mir tief in die Augen und meint: „Komm
mit zu uns und schau dir an, wie wir leben.“ Mit dem Bewusstsein, dass sie
große Hoffnung auf Wohlstandsleben in weiße Hautfarbe setzen, lehne ich ihr
Angebot ab und mache mir klar, dass sie mir mit leichtem Akt zur Frau gegeben
werden könnte. Nun warten wir an diesem mysteriösen Fluss. Nach einer halben
Stunde trifft tatsächlich jemand ein. Faraja und ihre Mutter besteigen das Boot
und ich drücke sie in den Fluss. Sie setzen über und Faraja gibt mir ihren
letzten Blick mit leichtem Lächeln.
Ich laufe den langen Weg in der Dunkelheit zurück und
wundere mich wie sehr diese Welt von Mysterien getragen ist. Ich unterhalte
mich mit eintreffenden Fischern über ihren heutigen Fang und spüre innere
Freude, die mir durch diesen unberührten Ort bereitet wird. Es fühlt sich so an,
als gehöre diese Welt mir alleine und als wäre ich ihr erster Entdecker. Ich
bade mir kurz den Schweiß im See aus und trete in das vor 120 Jahren errichtete
Hotel. Ich genieße die Gemeinschaft der neugewonnen Freunde, esse traditionell
Ugali auf Mkekateppich unter Öllampenlicht, während wir herzhaft lachen und
scherzen. Meine zwei Bier mit Radio Ipod unter Sternenhimmel geben dem Tag den
letzten, schönen Hauch.
Ich beginne den Tag mit einem Lauf am Strand in der
aufgehenden Sonne. Ich unterhalte mich mit dem Fischer, der mir sein Handwerk
erklärt. Jeden Tag verbringt er die Morgenstunden damit, sein Netz aufzuwickeln
und den Rest des Tages in der weiten See. Jedes Jahr in der Zeit von Dezember
bis Juli, verdient er sich sein Geld mit den gefangenen, verkauften Fischen.
Sein Leben lang ist er Fischer und sein Leben lang wird er einer sein. Ich
laufe am Strand entlang und treffe auf Väter mit Söhnen, die sich für die weite
See vorbereiten. Ich grüße sie mit „Ogunire“ in ihrer Stammessprache.
Ein Handwerk, das über tausenden von Jahren besteht und
damals genau so ausgeführt wurde wie heute. Die Väter der Männer waren Fischen,
ihre Söhne werden Fischer sein. Vor etwa zwei Tausend Jahren läuft ein Mann,
ein Gott, so wie ich am Ufer entlang und trifft auf solche Fischer. „Kommt her,
folgt mir nach. Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“ Welch Kraft müssen
diese Worte gehabt haben und welch festen Ausdruck sein Blick, dass diese zwei
Männer alles liegen lassen haben, ihre Familie und ihr eigenes Handwerk zurück
gelassen haben und diesem Unbekannten, Fremden, dessen Namen sie nicht einmal
kannten, bei so wenigen Worten, gefolgt sind. Er hatte etwas Tiefes, etwas
Höheres in sich, etwas, dass ihre Herzen berührt hat und sie ihr ganzes Leben
hingeben lassen hat. Zu zwölft sind sie nicht von seiner Seite gewichen,
schauen ihm beim Reden zu, beim Heilen, beim Leben, bis zu seiner tödlichen
Erniedrigung. Zwölf junge, ungebildete Männer, von denen einer seinen Verrat an
diesem Mann nicht ertragen konnte und sich selbst den Tod gab, ziehen sie um
die Welt und wie ein Lauffeuer fangen die Menschen in aller Welt an zu
verstehen, dass dieser gekreuzigte Mann ein auferstandener Gott ist. 1891
erreicht eine Expeditionstruppe das Ufer, an dem ich entlang laufe, mit derselben
Botschaft und 2012 trage ich diese Botschaft am selben Ufer mit mir herum.
Ich bin erneut bis zu dem Fluss gelaufen und treffe auf eine
Frau mit Baby, die gerade von einem Fischer übergesetzt wird. „Guten Morgen“
grüße ich sie, als sie auf meiner Seite angekommen ist. Erschöpft und
verschwitzt von Laufen, frage ich sie wie lange sie auf der anderen Seite
gewartet hat. „Seit gestern Abend“ antwortet sie mir und lässt mich sprachlos
stehen und geht ihres Weges. Fünf Meter dunkles, tieferes Mündungsgewässer, in
der jegliche Legenden hineingesteckt wurden von fressenden Krokodilen und
reißenden Nilpferden und Geistern, die einen hinunterziehen, machen den
Bewohnern so große Angst. Ich werfe einen Blick auf das andere Ufer und will
die Legende nicht auf die Probe stellen. Ich gehe langsam, in Gedanken
versunken, zurück, an den Fischern vorbei, die seit tausend Jahren ihre Netze
auswerfen.
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Fischer |
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Traum |
Zum Abschluss meiner Reise ertrage ich etwa 20 Stunden
Rückreise auf der letzten Sitzbank eines engen, alten Busses. Meine
Sitznachbarn sind ein sambisches, junges Ehepaar, die kein Kiswahili
sprechen,
dafür aber fließend Englisch. Wir führen wirklich interessante und
prägende
Unterhaltung über Gott und die Welt und ich gewinne zwei wirklich nette
Menschen zu Freunden und habe ein Schlafplatz in Sambia sicher. Ein
verkehrtes Bild, wenn der Mzungu zwei umherirrenden Afrikanern mit der
Sprache zur Hand gehen muss. Um zwei Uhr in
der Nacht treffe ich Zuhause ein und verdaue alles Erlebte in einem
langen Schlaf,
bis in den Mittag hinein. Nach gestillter Reiselust, bin ich bereit für
die
letzten knappen zwei Monate in meiner afrikanischen Heimat.
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