Sonntag, 4. Dezember 2011

Wewe ndiye mchizi wangu!

Die Gefahr ist groß, wenn man andere am Verfassten teilhaben lässt, dass man nicht mehr für sich selber schreibt und sich verliert. Es geht dann nicht mehr um das Ganze, sondern nach einer Abwägung wird gefiltert und es bleibt, was interessiert, was bindet - Ich erinnere mich noch genau wie ich vor fast genau zwei Jahren den Supermarkt durchstöbert habe nach diesem Buch mit leeren Seiten, um Gedanken- und Seelenwelt ein wenig zu fassen. Heute, zwei Jahre später habe ich den Mut der Öffentlichkeit ein paar dieser Seiten Preis zu geben (...). Wieder stelle ich fest, dass all die gewählten Worte doch scheitern werden und nur in einen Rahmen setzen, was unmöglich eingerahmt werden kann.
Ich erinnere mich, wie ich als kleiner Junge, versunken in einer Couch durch das Fernsehprogramm zappe und kurz Halt mache, wenn ein Löwe in Zeitlupe eine Gazelle reißt, nachdem er sich leise durch das hohe Gras geschlichen hat. Schrimakazie und von der Sonne rot gefärbte Kulisse untermalen das wilde Naturphänomen. Ich zappe weiter zum Kinderkanal mit letzten Gedanken an den mutigen Kameramann, der sich so nah an die wilden Tiere, so weit in die Wildnis, getraut hat. Kein Gedanke daran, dass ich irgendwann diese Zeilen schreibe. In der Pubertät wird die Welt hinterfragt und sie wird größer und weiter. Fürchterfüllt lasse ich die Sehnsucht nach der Ferne in mir wachsen. Mit geringem Selbstvertrauen strecke ich das erste Mal den Daumen am Straßenrand raus und entfliehe der Schule nach Hause. Schon bald erreiche ich mit Freund Stockholm im fremdem Auto mit unbekanntem Fahrer und fahre mit Rucksack und Fahrrad drei Tage in die Eifel.
Nun sitze ich in tropischer Nacht, schlage Moskitos zur Seite und schreibe über gestillte Sehnsucht. Worte im Alter von 16 Jahren, wo es um die Entdeckung der großen Welt ging, sind nicht leer geblieben. Im Land Rover fahre ich heute auf gefühlter sechsspuriger, afrikanischer Straße ohne Verkehrssystem in die Stadt, um der afrikanischen Welt ein wenig europäische Abwechslung einzufügen und mir eine Pizza zu gönnen. Vom Herzen genieße ich sie, kurz entfernt vom Genuss der Liebe der Kinder. Der große Weiße, der mit Container angerollt kam und den man anfangs mit Abstand beobachtet hat, trägt sie jetzt Huckepack durch die Steppe, lacht gemeinsam über ihre Alltagsgeschichten, messt sich im Spaßkämpfchen und verliert den Stockkampf. Wenn Elia, Eliezer oder Pendo sich einen Platz auf meinem Schoß ergattert haben, mich ihrem "mchizi wangu" (ihren Verrückten) nennen, ich mir über ihr bisheriges Leben bewusst werde, bin ich vom Herzen dankbar, dass ich hier bin und tun darf, was ich tue. Mit rechtem Arm drücke ich Pascal näher an meine Schulter und lasse ihn kurz spüren, dass ich gerne hier bin und dass ich ihn lieb habe.

Nächste Woche verbringe ich eine Woche im Massailand und schlafe unter schönstem Sternenhimmel. Ein Kidscamp wird bei ihnen durchgeführt und ich kann es kaum erwarten. Anschließend geht es in die überteuerte Serengeti und ich bin der Kameramann, vor dem ich als Kind so großen Respekt hatte. Kalkuliertes, aber doch riskantes Abenteuerfeeling erwartet mich und ich freue mich unter Lagerfeuerschein in völliger Ruhe, unterbrochen vom Geschrei der wilden Tiere, Kiswahililieder auf der Mundharmonika zu verfehlen.
Hier, Jahre später, wird die Welt immer kleiner und kleiner und mein Blick reicht weiter und weiter.

Die letzten Gedanken, die mich zu diesen letzten Zeilen bewegen, gelten meinen Freunden und meiner Familie, denen ich kurz über Skype vor zwei Tagen beim Genuss des Belanglosem zuschauen, zuhören durfte. Von einigen von ihnen, war das das erste Lebenszeichen seit drei Monaten. Ich wurde kurz in die Heimat versetzt und mit Freude erfüllt. Erstaunt frage ich mich, wie Liebe Zeit überdauert und Distanzen nicht kennt. Wer bin ich, was tue ich, dass ich so viel unverdiente Liebe zugesprochen bekomme? Der Verstand ist völlig überstiegen und Herz versucht dankbar zu verarbeiten. Liebe macht keinen Sinn! Mit Liebe auf Enttäuschung zu antworten, ist nicht logisch. Zu vergeben, wenn dein Gegenüber dir den Rücken zukehrt, ist nicht logisch. Ans Kreuz zu gehen und zu sterben für Menschen, die dir die Nägel in die Hände schlagen, ist nicht logisch -
doch wer weiß, vielleicht rettest du ja die Welt.

Die Hunde heulen verrückt in die Nacht und heute ist der zweite Advent. Es fängt bald an zu schneien und Weihnachtsbeleuchtung schmückt die tote Welt. Morgen wird die Sonne mit etwa 30 °C auf meinen Kopf knallen.

...die Mücke, die mich beim Schreiben durch ein nervendes Sausen gereizt hat, ist jetzt tot - eine Mücke nervt mich beim kurzem Überlesen des Geschriebenen - unglaublich, dass so kleine Viecher dich für einige Wochen ausknocken können - Danke, dass ich bis jetzt auf den Beinen stand!