Ich sitze in einem unbelebten Kiosk in der Stadt und
trinke mein Soda. Mit dem Bewusstsein, dass alles vielleicht das letzte Mal in
diesem Flair an mir vorüber fliegt, sitze ich einfach hier. Gedanken streiten
miteinander und treiben mein Gesicht zu Lächeln und bedenklich ernstem Blick
bei Rückblick.
Ich bin gerührt - wenn sie mir von dem Wenigen
geben, wenn sie ohne meine Bitte ein Glas Milch für mich zur Seite stellen,
weil sie wissen, wie sehr ich diese Seltenheit genieße, wenn sie mir den Eimer
Wasser vor die Tür tragen, den Teller für mich mit waschen, ihr Herz öffnen und
mir ihre Alltagsgeschichten erzählen, von Zauberei und Geistern auf den Bergen.
Sie schmiegen sich an meine Seite und wollen Nähe, streiten sich um den Platz
auf meinem Bauch, der die kräftigen Ugalimahlzeiten nicht verarbeiten konnte.
Ich bin noch genau vier Wochen hier und ich frage mich warum bin ich hier? Was
ist noch zu tun und wie soll ich gehen? Ein durchdachter, bewusster Abschied
ist mir wichtig und ich frage mich was, von mir, ich hier lasse. Mein Herz –
ein feiner Schliff ist von Nöten.
Ich verspreche Eliza mir besonders Zeit für sie zu nehmen, um sie für den Test am nächsten Tag vorzubreiten. Abends halte ich Wort und noch bis spät gehen wir mit ihr Wissenschaft in Englisch durch. Ein leises Klopfen an meiner Zimmertür, "Asante" flüstert sie fast stumm und berührt mich tief im Herzen. Wieviel Zeit doch bedeutet. Sie ist durchgefallen. Ich denke an ihr Leben und es bringt mich zum Heulen. Lange stehe ich auf Knien und frage mich betend, warum das Leben so ungerecht ist? Warum wird ihnen bei diesem Schicksal so viel zusätzliche Last aufgeladen? Sie sind fröhlich, glücklich, doch tiefe Wunden tragen sie in ihrem Herzen, schwere Fragen.
Levis Geschichte, eine von vielen, so besonders,
rührend. Er war noch jung als sein Vater fortgegangen ist, seine Mutter hat all
ihre Probleme mit Alkohol übergossen. Levis hat den Grimm und die Betrübtheit
seiner Mutter täglich in unbegründeten Schlägen zu spüren bekommen. Kleinste
Fehler und Fehler, die keine waren, wurden mit Prügel bestraft. Er hat das
Fischerhandwerk noch von seinem Vater gelernt, sich seinen eigenen Unterhalt
verdient und mit zwölf seine Tasche gepackt, ist durchs ganze Land gezogen, bis
nach Dar Es Salam. Er kämpft mit dem Leben auf der Straße. Wie viele andere
Straßenkids findet er schnell zu den kostenlosen Mahlzeiten von Tabea‘s
Suppenküche. Er erfährt von Gott und entscheidet die Schule neu zu versuchen.
Unter Tabea’s fürsorglicher Hand, ihrer von Gott getragener Liebe, beendet er
die Schule erfolgreich, macht sein Abi, studiert irgendwas mit Wareneinfuhr,
hat seine eigene Wohnung und lebt von seinem eigenem Geld und spendiert mir ein
Sodagetränk, während wir vor einem Laden auf einer Stufe sitzen und er mir von
seinem Leben erzählt. „Das Leben ist tough“ sagt er. Nach etwa neun Jahren
eigenständigen Überlegen setzt er sich in den Bus zu dem Ort, den er mit
Schrecken in Erinnerung hat. Es ist noch das gleiche alte Haus, trotz vieler
Jahre erkennt sie ihren Sohn und nimmt ihn mit Freudentränen, in den vergebenden
Arm. Sie hat das Trinken aufgegeben und Glauben gefunden und Versöhnung hat
Sohn und Mutter zusammen geführt. Welch Gefühle muss eine Mutter verspüren,
einen längst tot, vergessenen, nun erwachsenen Sohn in den Armen zu halten?
Immer wieder hört man mysteriöse Zaubergeschichten,
die man allzu schnell belächelt und nur schwer Glauben schenkt. Unsere
Nachbarin schreit gelegentlich die Geister aus den Menschen heraus, doch viel
bekommt man nicht zu sehen. Doch so viele haben sich dieser düsteren Macht
hingegeben - Menschen verlieren Söhne, Männer ihre Frauen, viele ihr eigenes
Leben. So viele Menschen schenken diesem Animismus Glauben und suchen
vergeblich Heil, Wohlstand, Vergebung, Leben. Doch so öffentlich, so schamlos
wie an diesem einem Tag, wurde uns diese Zauberkunst noch nicht präsentiert.
Zum Genuss unseres freien Tages begeben wir uns in den Fluss im Rockgarden, der
friedlich von Fels zu Fels hüpft. Wir scheinen von Menschen verlassen zu sein,
bis sich eine Gruppe bedenkend naht. Ich begrüße die beiden Männer, von denen
mir einer einen düsteren Blick entgegen bringt. Eine nun in Khanga gewickelte
Frau begibt sich ins kalte Wasser und setzt sich auf den Grund. Dem
mitgebrachten Huhn wird der Kopf abgeschnitten und kopflos, blutend schwenkt er
es um das Haupt der Frau. Unter Zaubersprüchen wird sie mit Blut besprengt und
immer wieder mit Wasser übergossen. Mein Geist hält nicht still und ich begebe
mich ins geistliche Gefecht. Mit aufgebrauster Seele stehe ich auf dem nächsten
Felsen und gebiete Einhalt […]. Ich rede mit der Frau, während sie das Ritual
über sich ergehen lässt, werde mit Handbewegungen von dem Mann mit dem düsteren
Gesicht verscheucht, worauf ich nicht reagiere. Die Spontanität meines Handelns
lässt mich nur gebrochen Kiswahili kontern und vorwurfsvoll versuche ich die
Sinnlosigkeit ihrer Taten zu verdeutlichen, doch gelassen lassen die
Zäubermänner nicht mit sich reden, beenden ihr Ritual und verlassen den Ort. Im
Gebet sprechen wir Leben aus. Mein Handeln lässt mich nur unbefriedigt und ich
frage mich, was ich mehr tun könnte.
Seit meiner Ankunft habe ich Frieden geschlossen mit
allen neun Hunden, selbst Freundschaft hat sich entwickelt, doch der eine aus
Unzucht entstandene Hund Sally, hat Kindheitstrauma an mir versucht zu verarbeiten.
Alle Friedensversuche mit Knochen und Fleisch hat sie knurrend abgelehnt. Wir
lebten im Waffenstillstand, begrüßten uns nicht und spaßend wünschte ich ihr
den Tod. Vor einigen Wochen habe ich sie begraben. In Trübsal lag sie vor
unserem Eingang ohne Lebenshauch. Welch Ehrfurcht gesprochene Worte doch
verdienen.
Ein Kampf um Wasser – vor einigen Tagen ist uns das
Wasser komplett ausgegangen und wir standen fast mit trockenen Mündern vor dem
Wassertank. Der Wasserhahn hat lange kein Wasser mehr gegeben und die Tanks
wurden bis zum Grund ausgeleert, bis ich mit Eimer und Seil das verdreckte
Wasser vom Boden kratze. Völlig verschwitzt und verdreckt vom Fußballspiel
finden wir dann Erlösung in Tina’s Tank. Man lernt schätzen, was vergeht. Leben
vergeht. Ich gehe.
Meine Motorradfahrstunden werden immer spannender
mit jedem Mal, wenn ich meinen Stammpikidriver anrufe, um mir einen Ride bis
zur Hauptstraße zu geben. Ich genieße diese gesetzliche Freiheit oder Freiheit
von Gesetz, wo es keinen stört, dass weißer Schwarzfahrer, kein Führerschein
für dieses, viel zu schnelle Fahrrad, in der Tasche hat. „Helm“ ist ein
Fremdwort. Ich fahre frei.
Eine Fahrt mit dem Landcruiser. Bei jedem Versuch,
das Auto zu starten, finde ich Freunde in den umstehenden Leuten, die mir den
Wagen anschieben müssen, weil er an Altersschwäche leidet und bei jeder Pause
in den Tiefschlaf fällt. Er bewahrt dich vor jedem Stolz und schafft
Belustigung, für all die Leute, die den Weisen dabei zuschauen, wie sie
Geländewagen durch die Gegend schieben.
Eine Begegnung mit einem Verrückten. Er bemerkt uns,
setzt sein Gepäck auf den Boden und spricht uns an, steigert sich in seinen
Monolog bis zu Aggression und will sie an uns abladen. Die Aufmerksamkeit der
Menge ist gewonnen. Wir steigen bescheiden ins Auto, bringen noch letzte Leute
zum Lachen, als ich ihm den gewohnten ersten Meter vorschieben muss. Er sagt, er
hat seine Mutter vergewaltigt. Er zeigt uns sein männliches Glied als
Beweisstück. Ich habe keinen Zweifel. Wir fahren los.
Zurück aus dem Rückblick, blicke ich auf die alten
Kolonialbauten mit den Kleingeschäften im Vordergrund, die einfach alles verkaufen.
Ein paar Sofas vor dem einem Laden, machen es zu einem Möbelgeschäft und wer
ein paar Werkzeuge verkauft, leitet einen Baumarkt. Die Sonne zieht über den
Dächern hinweg und es wird dunkel. Ich zahle mein Soda und springe in den noch fahrenden
Daladala.
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