Montag, 2. Juli 2012

Mein Herz schreit

Es fällt mir nicht leicht zu gehen. Ich kann es nicht aufhalten, Zeit boxt sich in großen Schlägen durch den Alltag und meine Gedanken drehen sich um einen gelungenen Abschied. Ein Abschluss bei dem Frieden im Herzen und Freude, Leben und göttlicher Weitblick zurückbleiben.
Ich frage mich, was ich diesem Land gebracht habe und wieviel Sinn mein Dasein gehabt hat. So wenig habe ich getan und wo ist der Unterschied von dem, wer sie waren, wer sie nun sind?
Ich war einfach hier. Ich habe einfach gelebt wie sie, ihre Sprache gelernt, mit ihnen gegessen, ihr afrikanisches Spiel erlernt, barfuß Fußball über rote Erde gekickt, bis mir schwer loszuwerdende Hornhaut gewachsen ist und mich immer wieder selbst mit handwerklichen Arbeiten versucht.
Ich bin einfach eingetaucht und habe alles lieben gelernt. Ich habe sie lieben gelernt. So wie Heimat nur ein wüster Ort ist, wenn nicht Freunde und Familie ihn beleben, so ist Afrika auch nicht viel mehr als ein schöner Kontinent, wenn ich nicht Liebe teilen würde. Es haben sich Beziehungen gebildet, die mit Herz vernetzt sind und bald zu reißen drohen. Es fühlt sich so an, als würde ich sie im Stich lassen. Ein Jahr lang habe ich sie ihrer Liebe beraubt und reiße nun an ihrem Herzen und lasse ihr weinendes, fragendes Herz bluten. In Tränen schreibe ich und nicht weil es mir dort, wo ich hingehe schlechter gehen wird. Ich weine, weil 28 Kinder in seelischer Wüste ausgesetzt wurden, ihre Eltern als Hurer an Aids gestorben sind, sich dem Alkohol gebeugt haben oder sie schlicht weg ausgesetzt haben, weil sie sie nicht wollten. Nur selten habe ich sie nach ihrer Vergangenheit gefragt, weil ich nicht Mitleid teilen, sondern Freude schenken will. Ich sitze hier und denke an ihr Lachen, ihre Stimmlage, wenn sie reden, ihre verschiedenen Verhaltensmuster und dann ist da der Gedanke, dass sie keinen in der Familie haben, der ihnen sagt, dass er sie liebt. Jemand erzählt mir von Verwandten, die er nicht einmal mit Namen bennenen kann, geschweige denn, die er im letzten Jahr überhaupt mal zu Gesicht bekommen hat. Sie wurden von ihren Großmüttern ausgesetzt, die sie nicht versorgen können und sie anschließend nicht einmal besuchen kommen. Bei dem seltenen Auftauchen entsteht das Gefühl einen Fremden in dem Arm zu halten. Daniel hat sogar noch eine Mutter in Dar es Saalam, die er jedoch noch nie gesehen hat. "Warum ist sie noch nie hier gewesen?" frage ich ihn. Er schweigt, weil er keine Antwort hat.
Biana tanzt als wäre sie reich beschenkt in diesem Leben, sie teilt und achtet den Nächsten höher als sich selbst. Sie strahlt vor Freude und spricht liebevoll. Sie ist unglaublich hübsch und macht sich nichts daraus. Wie kann sie so eine Lebensfreude in sich tragen, wenn Vater und Mutter schon lange im Grab liegen. Oh, Gott, bewahre diese Kids vor dieser Geist tötenden, dreckigen Welt voll Leere, voll Tod. Weitere Lebensgeschichten gehen mir durch den Kopf, die ich nur schwer mit ihrer Lebensfreude vereinbaren kann. Sie wachsen in Gemeinschaft und Liebe auf und lernen das Miteinander-, Füreinanderleben. Ich versuche mich damit zu berühigen, dass Dada Tina ein großes Herz hat und liebt ohne Bedingung und Gott im Herzen trägt und seinem Ruf folgt. Hier habe ich lieben gelernt und gelebt, um zu lieben. Stets mit dem Versuch nicht für mich selbst zu leben und nicht meine eigenen Bedürfnisse suchend. Es geht um Gott und das Leben für ihn. Elf Tage bleiben mir an diesem Ort, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde. "Agape", ein Ort voller Liebe. In Sansibar versuche ich nochmal zu verarbeiten und dann kommt herausfordernde Rückkehr. Ich habe Angst vor altem Ich und mein Herz schreit, wenn ich mir bewusst mache, dass es bald zurück geht. Kann ich das erneut tragen? Ich bin mir selbst zu schwer! Ich habe hier eine Freiheit gefunden und ich habe Angst sie zu verlieren. Ich hasse mein altes, selbstsüchtiges Ich.


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