Sonntag, 15. Juli 2012

Heimat wächst

Noch nie fiel mir Abschied so schwer. Lange habe ich über die Worte nachgedacht, die ich ihnen zuletzt mitgeben soll. Das Haus ist gefüllt mit Wazungu samt Nehemia Chef Pawel Sturz. Ich schiebe meine Rede weit hinaus aus Furcht, das meine Worte vor diesen stechenden Augen keinen Weg finden.Doch der Abend gilt mir und meinem Abschied. Pawel leitet ihn mit einer Rede ein, die mich meines Dienstes rühmt, den ich selbst nicht so hoch schätzen kann, wie er ihn beschreibt. Meine Demut ist angekratzt, doch er spricht von der Liebe zu den Geringsten, die keiner wahr nimmt, die der ganze Himmel bejubelt. Ich blicke in die Runde, den Kindern in die Augen und kann mein Herz nicht beruhigen, als mir klar wird, dass ich sie die letzten Momente sehend liebe. Tränen laufen mir die Wangen herunter, was ich nicht vor den vielen Blicken verbergen kann. Pawel's Rede endet mit einer väterlichen Umarmung, die ich in diesem Moment so nötig habe. Die Kids verbergen sich in den Zimmern, um ihr Schluchzen und Heulen nicht zu präsentieren. Ich gehe durch die Zimmer und finde ein Haus gefüllt mit Trauer. Ich versuche standfest zu bleiben und den ersten Schritt zu gehen und schnell eingeeiste Freude auftauen zu lassen. Ich versuche Trauer hinauszuschieben bis auf den nächsten Morgen, verdrücke mir alle Tränen und motiviere den letzten Abend tanzend zu beenden. Pilau beruhigt unsere Seelen und ich genieße ein letztes Abendessen am Tisch mit den Kids. Wir heitern uns mit lustigen Geschichten auf und ich genieße noch einmal ihr Lächeln, ihren liebevollen Blick. Nach tansanischer Tradition verfütter ich den für mich gebackenen Kuchen an Princess Maria und Upendo und werde selbst gefüttert zur Freude der auflachenden Kinder. Schweres Herz wird leicht, als wir unsere Arme und Beine dem Bongorythmus unterwerfen. Wir tanzen und ich genieße es ein letztes Mal und präsentiere die mir beigebrachten Tanzschritte ein letztes Mal. Ich nehme mir Biana nochmal zur Hand und führe den Tanz und lasse ihre Welt drehen. Tanzend drücke ich auch Upendo fest in den Arm und fliege durch den Raum. Viel Zeit vergeht schnell, wenn man genussvoll die Beine schwingt. Solarstrom versagt ein letztes Mal und unsere Akkubetriebene Box drönt ins Dunkel wahrend wir weiter tanzen. Für Frischluft gehe ich vor die Tür und betrachte schweigend nun so sehr vertrauten Sternenhimmel. Es wird Zeit für meine letzte Rede. Ich spreche Dank aus und lasse gute Zeiten nochmal verbal durchleben. Ich schließe mit der Ausgabe von vielen Briefen und einigen Hinterlassenschaften ab und Freude ringt sich nochmal durch. Unser Abend wird nochmal lang und Felista nimmt mich nochmal zur Seite und offentbart mir ihr Herz und vertraut mir ihre Trauer an. Ich will ihre Welt hier nicht veröffentlichen, doch ich bin gefüllt mit Zorn auf Menschen, die keinen Sinn für Leid haben. Über Mitternacht presse ich meine Hand mit Farbe um die im Wohnzimmer angemalte Welt und schreibe groß "Paulo" daneben. Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit mir die Farbe mit Klerosin und Seife auszuwaschen - erfolglos. Doch ich genieße die Gemeinschaft mit der so geliebten Neema, die meinem Leid beiwohnt. Ein letztes Mal begebe ich mich unters Moskitonetz und unter lauten Gedanken und rufendem Herzen finde ich Schlaf.
Früh machen wir uns zum Morgensport, geleitet von der neuen Volunteeren - ein letztes Fußballspiel. Unter Zeitdruck packe ich meine Tasche, das Kamerateam aus Deutschland nimmt die von mir in diese Welt gerufene Band unter Blitzlicht. Vor versammelter Menge stelle ich mich ein letztes Mal und nach langem Schweigen sage ich einen Satz, der von Tränen getragener Trauer unterbrochen wird. "Ich kann nicht glauben, dass ich euch jetzt verlasse". Noch einmal "Danke", "Ninawapenda", "Sitawasahau", "Nitawakumbuka". Schamlos heulend nehme ich jeden noch mal in meine Arme. Weinende Kinder winken mir zu, während ich auf der Ladefläche des Trucks verblasse. Die schöne Mwanaidi sieht mich vorbeiziehen und hält sich das Khanga vors Gesicht. Eine letzte Umarmung bleibt aus.
Ich nehme alles nochmal auf - die bestiegenen Berge, die mir bekannten "Dukas", die Pikipiki driver, die Bewohner Morogoros. Ich merke, dass ich wieder gehe. Ich verstehe, Heimat war nur in Blankenheim - ein Jahr lang habe ich in Tanzania geliebt, wurde geliebt und erkenne nun - Heimat wächst. Ich kam aus der Heimat in die Ferne und nun gehe ich aus der Heimat in die Heimat. Mein Herz ist zerrissen.

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